Stereoskop [2]

[747] Stereoskop. – Wie schon im Bd. 8, S. 308, ausgeführt wurde, erscheint uns ein durch die Strecke AB (s. Fig. 1) angedeutetes Objekt dadurch körperlich, daß das linke Auge L und das rechte Auge R verschiedene perspektivische Bilder von ihm erblicken. Umgekehrt kann also der Eindruck eines in Wahrheit gar nicht vorhandenen körperlichen Gegenstandes dadurch künstlich hervorgerufen werden, daß jedem Auge ein seiner Lage gegen das Objekt entsprechendes perspektivisches Bild desselben gezeigt wird; man hat nur dafür zu sorgen, daß jedes Auge eben nur das für es bestimmte Bild wahrnimmt. Nun überdecken sich aber die den beiden Augen entsprechenden Sehstrahlenkegel wegen der geringen Entfernung beider Augen zum größten Teile. Die Bilder müßten also zwischen der Ebene L R und dem Schnittpunkte X angebracht werden; sie würden also sehr klein ausfallen und vor allen Dingen den Augen sehr nahe sein – so nahe, daß sie überhaupt nicht deutlich gesehen werden würden. Die Aufgabe, die bei der Konstruktion des Stereoskops vorlag, war also, die beiden perspektivischen Bilder zwischen die Ebene A B und den Schnittpunkt X zu bringen, so daß sie sich teilweise überdecken, jedes Bild aber nur von dem Auge gesehen wird, für das es bestimmt ist. – Diese Aufgabe löste Wheatstone durch Spiegel, Brewster durch Linsen. Fig. 2 zeigt die[747] Entstehung der Bilder im Wheatstoneschen Stereoskop. A, B, C und die drei sichtbaren vertikalen Kanten eines durch seine beiden perspektivischen Bilder zu erzeugenden Würfels; a1', b1', c1' sind die Kanten des für das linke, a2', b2', c2' die des für das rechte Auge bestimmten Bildes. Diese Bilder werden an die für sie bestimmten Orte gebracht, indem von den entsprechend konstruierten perspektivischen Bildern a1 b1 c1 und a2 b2 c2 durch die unter 45° gegen die Mittelebene gestellten Spiegel M N und N P Spiegelbilder erzeugt werden. Fig. 1 zeigt die Entstehung der Bilder im Brewsterschen Stereoskop. A B sei die durch das Stereoskop zu erzielende Lage des Objekts, a b sein für das linke Auge L bestimmtes perspektivisches Bild. Durch eine unmittelbar vor ihm befindliche Sammellinse erblicke dieses Auge das virtuelle Bild a' b' der Zeichnung a b. Dieses Bild würde in Verbindung mit dem entsprechenden rechtsseitigen Bilde den Eindruck des körperlichen Objekts A B hervorrufen. – Das Bild a b muß nun so weit nach links verschoben werden, daß es sich mit dem entsprechenden rechtsseitigen Bilde nicht mehr teilweise deckt, so weit also, daß das Ende b in die Achse des Apparats, in den Punkt b1 fällt; die Verschiebung muß also = b b1 = a a1 sein. Ist m die Mitte von a b, m' die Mitte von a' b', m1 die Mitte von a1 b1, so muß der Mittelpunkt der Linse von L um das Stück z nach M verschoben werden; dieser Punkt M ist der Schnittpunkt von m' m1 und L R. – Es genügt nunmehr die Anwendung einer halben Linse; man braucht nur eine gewöhnliche Sammellinse zu zerschneiden und ihre Hälften vertauscht anzubringen. Die Verschiebung ist z = p · l, wenn a a1 = b b1= p, f die Brennweite der Linse, l der Abstand der Zeichnung a1b1 von der Linie L R ist.

Helmholtz hat die Empfindung des Glanzes auf eine stereoskopische Wirkung zurückgeführt. Erblicken wir etwa auf einem runden, glänzenden, schwarzen Körper das Spiegelbild eines Fensters, so liegen tatsächlich die von den beiden Augen wahrgenommenen Spiegelbilder an verschiedenen Stellen der Oberfläche des Körpers. Da, wo das linke Auge das helle Spiegelbild erblickt, sieht das rechte Auge die schwarze Oberfläche und umgekehrt. Durch die stereoskopische Vereinigung des weißen Bildes in dem einen und des dunkeln Bildes in dem andern Auge entsteht die Empfindung des Glanzes. Der Versuch bestätigt diesen Schluß. Bringt man in das Stereoskop zwei entsprechende perspektivische Zeichnungen eines Körpers, von denen die eine schwarze Linien auf weißem Grunde, die andere weiße Linien auf schwarzem Grunde zeigt, so erblickt man den Körper lebhaft glänzend. Solche Zeichnungen sind Helmholtz' »Handbuch der physiologischen Optik« beigegeben.


Literatur: [1] Helmholtz, Handb. d. physiolog. Optik, Leipzig 1867. – [2] Meisel, Lehrbuch der Optik, Weimar 1889; ders., Lehrbuch der Perspektive, Leipzig 1908.

F. Meisel.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 747-748.
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