Stereoskōp

[946] Stereoskōp (griech.), optisches Instrument, das zwei ebene Bilder desselben Gegenstandes derart kombiniert, daß der Beschauer den Eindruck eines körperlichen Gegenstandes erhält. Nahe Gegenstände sehen wir mit dem rechten Auge etwas mehr von der einen, mit dem linken Auge etwas mehr von der andern Seite, und die Kombination dieser etwas ungleichen Bilder zu einem Totaleindruck trägt wesentlich dazu bei, die flächenhafte Anschauung des einzelnen Auges zu einer körperlichen, einer plastischen zu erheben.

Fig. 1. Wheatstones Spiegelstereoskop.
Fig. 1. Wheatstones Spiegelstereoskop.

Eine auf einer Fläche ausgeführte Zeichnung oder ein Gemälde kann immer nur die Anschauung eines einzelnen Auges wiedergeben; bietet man aber jedem Auge das passend gezeichnete Bild eines Gegenstandes dar, so werden sich beide Bilder zu einem einzigen Totaleindruck vereinigen. Wheatstone erreichte diese Vereinigung durch sein Spiegelstereoskop (Fig. 1), das aus zwei rechtwinklig gegeneinander geneigten Spiegeln ab und ac besteht, deren Ebenen vertikal stehen.

Fig. 2. Brewsters Linsenstereoskop.
Fig. 2. Brewsters Linsenstereoskop.

Der Beobachter schaut mit dem linken Auge l in den linken, mit dem rechten Auge r in den rechten Spiegel. Seitlich von den Spiegeln sind zwei verschiebbare Brettchen angebracht, welche die umgekehrten perspektivischen Zeichnungen d und e eines Objekts aufnehmen. Durch die Spiegel werden nun die von entsprechenden Punkten der beiden Zeichnungen ausgehenden Strahlen so reflektiert, daß sie von einem einzigen hinter den Spiegeln gelegenen Punkt m zu kommen scheinen. Jedes Auge sieht also das ihm zugehörige Bild an demselben Orte des Raumes, und der Beobachter erhält daher den Eindruck, als ob sich daselbst der Gegenstand körperlich befände. Brewster hat die Spiegel dieses Instruments durch linsenartig gewölbte Prismen ersetzt, und diese Stereoskope (Fig. 2) sind jetzt allgemein im Gebrauch. Eine Sammellinse von etwa 18 cm Brennweite ist durchschnitten; die beiden Hälften A und B sind, mit ihren scharfen Kanten gegeneinander[946] gerichtet, in einem Gestell befestigt, und an dessen Boden wird das Blatt, das die beiden Zeichnungen aa' und bb' (gewöhnlich photographische Bilder) enthält, eingeschoben. Durch die Anwendung der Linsenstücke ist es zunächst möglich, die Bilder dem Auge näher zu bringen; dann aber wirken sie auch wie Prismen, indem die Linsenhälfte vor dem rechten Auge R das Bild etwas nach dem linken schiebt, während das Bild der mit dem linken Auge L betrachteten Zeichnung etwas nach rechts gerückt erscheint. Auf diese Weise wird das vollständige Zusammenfallen der beiden Bilder bei CC' hervorgebracht. Wenn man durch eine zwischen den Bildern befindliche senkrechte Scheidewand dafür sorgt, daß jedes Auge nur das ihm zugehörige, nicht aber das für das andre bestimmte Bild sieht, so ist eine besondere Vorrichtung, um die Bilder zur Deckung zu bringen, nicht nötig (S. von Frick). Im S. von Steinhauser mit konkaven Halblinsen muß das für das rechte Auge bestimmte Bild links, das für das linke bestimmte rechts liegen; die Bilder des Brewsterschen Stereoskops würden darin mit verkehrtem Relief erscheinen (Pseudoskop, s. d.). Druckt man zwei stereoskopisch aufgenommene Bilder etwas seitlich verschoben übereinander, und zwar das eine mit roter, das andre mit grüner Farbe, und betrachtet sie durch eine Brille mit einem roten und einem grünen Glase, so sieht man ein schwarzes stereoskopisches Bild. Durch das rote Glas sieht man nämlich das rote Bild nicht, da das rot bedruckte Papier gleichmäßig rot erscheint, durch das grüne Glas betrachtet, erscheint aber das rote Bild schwarz auf grünem Grunde. Das andre Auge sieht aus gleichem Grund ein schwarzes Bild auf rotem Grund. Grün und Rot vereinigen sich als Komplementärfarben zu Weiß, so daß das plastische Bild schwarz auf weißem Grund erscheint. D'Almeida benutzte 1858 dies Prinzip zur Erzeugung stereoskopischer Projektionsbilder, ein Verfahren, das durch Pezold durch Wahl geeigneter Farben wesentlich verbessert worden ist. Ducos de Hauron (1894) nannte solche Bilder Anaglyphen. Man benutzt das S. zur Unterhaltung, zur Veranschaulichung trigonometrischer und stereometrischer Lehrsätze und zum Studium der Gesetze des binokularen Sehens. Dove demonstrierte mit Hilfe des Stereoskops die Entstehung des Glanzes. Er benutzte das S. auch zur Unterscheidung echter Wertpapiere von unechten. Bei Betrachtung der zu vergleichenden Papiere gelangen die einzelnen Zeichen, die nicht genau mit dem Original übereinstimmen, nicht zur Deckung und befinden sich anscheinend in verschiedenen Ebenen. Auf zwei einige Zeit nacheinander hergestellten Himmelsaufnahmen sind die Planeten gegen die Fixsterne verschoben, scheinen also im S. nicht in gleicher Ebene. Setzt man Zeiger darauf, so kann man leicht ermitteln, um wieviel der eine verschoben werden muß, um das scheinbare Vor- und Zurücktreten zu beseitigen, d. h. man kann die Verschiebung des Planeten in der Zeit zwischen den beiden Aufnahmen messen (Stereokomparator). Zwei Himmelsaufnahmen, die nacheinander angefertigt sind in einer Zeit, während sich die Erde von einem Ende eines Durchmessers ihrer Bahn bis zum andern bewegt hat, lassen im S. den Himmel so erscheinen, wie ihn ein Mensch sehen würde, dessen Augen um den Durchmesser der Erdbahn voneinander entfernt sind. Man sieht dann deutlich die Planeten als nähere Himmelskörper vor den Fixsternen frei im Raum schweben in verschiedenen Entfernungen, entsprechend ihren wirklichen Abständen von der Erde. Ebenso kann man den Mond als plastischen Körper sehen, den Saturn mit seinen Ringen etc. Die Vorteile des Sehens mit zwei Augen vermindern sich in dem Maß, als die zu beschauenden Gegenstände weiter weg liegen, und verschwinden völlig beim Betrachten einer landschaftlichen Ferne. Die Augen liegen zu nahe, als daß sich einem jeden derselben ein merklich verschiedenes Bild darstellen könnte. Das Telestereoskop von Helmholtz bietet dem Beschauer zwei sich deckende Bilder einer Landschaft dar, gleich als ob das eine Auge von dem andern mehrere Fuß abstände. Das Instrument besteht aus vier Planspiegeln, die senkrecht in einem hölzernen Kasten und unter 45° gegen dessen längste Kanten geneigt befestigt sind. Das von dem fernen Objekt kommende Licht fällt auf die zwei äußern großen Spiegel, wird von diesen rechtwinklig auf die beiden innern reflektiert und gelangt, nachdem es auch von den kleinern innern Spiegeln rechtwinklig reflektiert wurde, in die Augen des Beobachters. Jedes Auge erblickt in den kleinen Spiegeln das von den großen Spiegeln reflektierte Bild der Landschaft in einer solchen perspektivischen Projektion, wie sie von den beiden großen Spiegeln aus erscheint. Will man das Bild vergrößern, so kann man die Lichtstrahlen, ehe sie in die Augen gelangen, auch noch durch kleine Fernrohre gehen lassen. Zeiß verwendet an Stelle der Spiegel totalreflektierende Prismen (Relieffernrohr, s. Fernrohr, S. 439; vgl. auch Distanzmesser, S. 55). Vgl. Brewster, The stereoscope (Lond. 1856); Ruete, Das S. (2. Aufl., Leipz. 1867); Steinhauser, Über die geometrische Konstruktion der Stereoskopbilder (Graz 1870) und Die theoretischen Grundlagen für die Herstellung der Stereoskopenbilder (Wien 1897); Stolze, Die Stereoskopie und das S. in Theorie und Praxis (Halle 1894); W. Manchot, Das S. (Leipz. 1903); Hartwig, Das S. und seine Anwendungen (das. 1907).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 946-947.
Lizenz:
Faksimiles:
946 | 947
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Der Teufel kommt auf die Erde weil die Hölle geputzt wird, er kauft junge Frauen, stiftet junge Männer zum Mord an und fällt auf eine mit Kondomen als Köder gefüllte Falle rein. Grabbes von ihm selbst als Gegenstück zu seinem nihilistischen Herzog von Gothland empfundenes Lustspiel widersetzt sich jeder konventionellen Schemeneinteilung. Es ist rüpelhafte Groteske, drastische Satire und komischer Scherz gleichermaßen.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon