Redefreiheit

[677] Redefreiheit, das Recht der freien mündlichen Meinungsäußerung, das jedem Staatsbürger zusteht, dessen Mißbrauch jedoch nach den Strafgesetzen geahndet wird. Eine besondere R. (Unverantwortlichkeit) ist den Mitgliedern der gesetzgebenden Versammlungen gewährleistet. Diese sind wegen Abstimmungen oder wegen der in Ausübung ihres Berufs getanen Äußerungen frei von jeder Verantwortung, also auch von der disziplinaren und zivilrechtlichen, außerhalb der Versammlung, zu der sie als Mitglied gehören, also namentlich vor den Gerichten und im Disziplinarverfahren. Diese in England durch altes Parlamentsrecht verbürgte und im Artikel 9 der Bill of rights (1689) ausdrücklich anerkannte parlamentarische R. (Freedom of speech) war für Deutschland schon durch die (Frankfurter) Reichsverfassung vom 28. März 1849 (§ 120) verheißen worden. Die norddeutsche Bundes- und die deutsche Reichsverfassung nahmen die dort enthaltene Vorschrift in Artikel 30 wörtlich auf: »Kein Mitglied des Reichstags darf zu irgendeiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufs getanen Äußerungen gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.« Auch für die Landtage der Bundesstaaten, deren Verfassungen diesen Gegenstand nicht gleichförmig behandelten, ist durch das Reichsstrafgesetzbuch (§ 11) derselbe Grundsatz zur gemeinsamen Norm erhoben worden. Nicht dagegen genießen R. die Mitglieder des Bundesrats, bestritten ist sie für die Mitglieder des Landesausschusses von Elsaß-Lothringen. Mit der parlamentarischen R. hängt die Straffreiheit wahrheitsgetreuer Kammerberichte zusammen. Innerhalb der Versammlung kann gegen Mißbrauch der R. vom Präsidium nach der Geschäftsordnung durch Ordnungsruf und Wortentziehung eingeschritten werden. Ein Gesetzentwurf (sogen. Maulkorbgesetz) von 1879, der eine Einschränkung der R. im deutschen Reichstag bezweckte, wurde von diesem abgelehnt. Vgl. v. Bar, Die R. der Mitglieder gesetzgebender Versammlungen (Leipz. 1868); v. Kißling, Die Unverantwortlichkeit der Abgeordneten (2. Aufl., Wien 1885); G. Seidler, Die Immunität der Mitglieder der Vertretungskörper nach österreichischem Recht (das. 1891); Paterson, Liberty of the press, speech and public worship (Lond. 1880); Hubrich, Die parlamentarische R. und Disziplin (Berl. 1899); v. Muralt, Die parlamentarische Immunität in Deutschland und der Schweiz (Zürich 1902).[677]

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 677-678.
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