C. Arendt

Moderne chinesische Tierfabeln und Schwänke

Indem ich einige kleine Tierfabeln, Schwänke und verwandte Geschichtchen vorlege, wie solche im Norden Chinas in den gebildeten Kreisen im Umlauf sind, will ich vorausschicken, dass ich mich einzig und allein auf die Mitteilung des Stoffes beschränken werde. An einen historischen Zusammenhang dieser Fabeln und Anekdoten, mit der Volkslitteratur anderer Völker ist – vielleicht mit einer Ausnahme (No. 5) – nicht zu denken, und insofern dieselben etwa zu Vergleichungen mit ähnlichen Erzeugnissen des Volksgeistes in anderen Ländern Anregung geben sollten, muss ich es anderen überlassen, diese Vergleichung vorzunehmen, da ich selbst auf diesem Gebiete fast ein Fremdling bin. Der Stoff, den ich vorlege, ist jedenfalls neu, und noch nirgends veröffentlicht, weder auf Chinesisch noch in Übersetzung. Die meisten der mitgeteilten Geschichtchen stammen aus dem Munde des jetzigen Lectors des Nordchinesischen am Seminar für orientalische Sprachen in Berlin, Herrn Hsüeh Shên; die 9. habe ich in China selber erzählen hören; über die Herkunft der 10. wird weiter unten Aufschluss gegeben werden. Doch nun zur Sache.

China besitzt keine Fabel-Litteratur, und besonders die Tierfabel ist in der chinesischen Litteratur als Gattung gar nicht vertreten. Jedoch finden sich in chinesischen philosophischen und historischen Werken aus alter Zeit einige hierher gehörige Stücke, welche ich im 12. und 13. Bande der in Hongkong erscheinenden Zeitschrift China Review ausführlich behandelt habe. Jedoch ist es mir mit der grössten Mühe nur gelungen, fünf dergleichen Tierfabeln zusammenzubringen. Sie gehören der Kunstlitteratur an, und wir haben daher nichts mit ihnen zu thun.

Auch in der modernen chinesischen Volkslitteratur spielt die Tierfabel nur. eine kleine Rolle, so dass es mir merkwürdigerweise erst hier in Berlin, und zwar ganz zufällig, geglückt ist, einige derartige Erzeugnisse des chinesischen Volksgeistes zu entdecken.

Quelle:
Arendt, C.: Moderne chinesische Tierfabeln und Schwänke. In: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang (1891), S. 325.
In: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang (1891).
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