2. Sippe: Springmäuse (Dipus)

[330] Ueber die Springmäuse (Dipodina), welche eine zweite Unterfamilie bilden, sind wir besser unterrichtet. Wir betrachten sie als Urbilder der Gesammtheit, denn sie zeigen alle Eigenthümlichkeiten derselben am vollständigsten. Hasselquist bemerkt nicht mit Unrecht, daß sie aussähen, als wären sie aus verschiedenen Thieren zusammengesetzt. »Man könnte sagen, das Thierchen habe den Kopf des Hasen, den Schnurrbart des Eichhörnchens, den Rüssel des Schweines, den Leib und die Vorderfüße der Maus, die Hinterfüße des Vogels und den Schwanz des Löwen.« Vor allem fällt der Kopf auf: er kennzeichnet die Springmäuse sogleich als echte Wüstenbewohner. Für alle Sinneswerkzeuge ist Raum vorhanden. Die Ohrmuscheln sind groß und häutig, wenigstens nur außerordentlich dünn behaart, die Augen groß und lebhaft, dabei aber mild im Ausdrucke wie bei allen Wüstenthieren, die Nasenlöcher weit und umfänglich, und damit auch der Sinn des Gefühls gehörig vertreten sei, umgeben ungeheuer lange Schnurren den Kopf zu beiden Seiten. Der Hals ist außerordentlich kurz und wenig beweglich, der Schwanz dagegen sehr lang, meist um etwas, zuweilen um vieles länger als der Leib, vorn rund behaart, hinten aber meist mit einer zweizeiligen Bürste besetzt, welche aus steifen, regelmäßig anders gefärbten Haaren besteht und dem Schwanze die größte Aehnlichkeit mit einem Pfeile verleiht. Die sehr verkürzten Vorderfüße, welche beim Springen so an den Leib herangezogen und theilweise im Pelze versteckt werden, daß die alte Benennung »Zweifuß« gerechtfertigt erscheint, haben bloß vier Zehen mit mäßig langen, gekrümmten und scharfen Krallen und eine benagelte oder nagellose Daumenwarze. Die Hinterfüße sind wohl sechsfach länger als die vorderen und zwar, weil sich ebensowohl der Unterschenkel als auch der Mittelfußknochen gestreckt hat. Dieser ist in der Regel einfach, während andere ähnliche Mäuse so viele Mittelknochen haben als Zehen. An diesen langen Knochengelenken sind unten drei Zehen eingefügt, von denen die mittlere etwas länger als die seitliche ist. Jede Zehe hat eine pfriemenförmige Kralle, welche rechtwinkelig zum Nagelglied steht und dadurch beim Springen nicht hinderlich wird. Ein steifes Borstenhaar, welches nach unten zu immer länger wird, bekleidet die Zehen. Der Pelz ist weich, seidenartig und auf dem Rücken am Grunde blaugrau, dann sandfarbig, an den Spitzen aber schwarz oder dunkelbraun, unten immer weiß mit seitlichen Längsstreifen. Die Schwanzwurzel ist ebenfalls weiß behaart, dann folgt eine dunklere Stelle vor der weißen Spitze.

Mit dieser äußeren Leibesbeschaffenheit steht die innere Bildung vollständig im Einklange. Das Gebiß besteht aus sechszehn oder achtzehn Zähnen, da im Oberkiefer entweder drei oder vier, im Unterkiefer stets drei Backenzähne stehen; die Nagezähne sind glatt oder gefurcht. Die Backenzähne zeigen verschieden gewundene oder gebogene Schmelzfalten. Das Geripp hat im allgemeinen das weiter oben angedeutete Gepräge. Die Halswirbel sind bei einigen Arten ganz, bei den anderen größten Theils unter einander fest verwachsen, und hierdurch erhält der Hals hauptsächlich seine Verkürzung. Merkwürdig ist die Erscheinung, welche wir bei allen schnell laufenden Thieren und somit auch bei den Springmäusen finden, daß nämlich die Füße so einfach wie möglich gebildet und nur äußerst wenig beweglich sind. Die drei, vier oder fünf, ungemein kurzen Zehen der Springfüße haben in der Regel nur zwei Glieder, keine Seitenbewegung und können sich bloß gleichzeitig etwas von oben nach unten biegen. Beim Laufen berührt nur die äußerste Spitze des [330] Nagelgliedes den Boden; sie aber ist durch eine federnde Knorpelmasse besonders geschützt. Das lange, steife Borstenhaar an den unteren Zehen dient augenscheinlich dazu, den Fuß beim Aufsetzen vor dem Ausgleiten zu bewahren und ihm somit einen viel sicherern Stand zu geben. Einige Arten der Springmäuse überhaupt haben am Mittelfußknochen noch eine oder zwei Afterzehen, welche aber ganz unwesentlich sind und niemals den Boden berühren. Gewaltige Muskeln bewegen diese festen Knochen, und hierdurch eben erscheint der hintere Theil des Leibes so auffällig gegen den vordern verdickt.

Gewöhnlich finden sich vier Zitzenpaare, zwei Paare auf der Brust, ein Paar am Bauche und ein Paar in den Weichen.

Die Sippe der Wüstenspringmäuse (Dipus) kennzeichnet sich dadurch, daß die oberen Schneidezähne eine mittlere Längsfurche zeigen, daß vor die drei regelmäßig vorhandenen Backenzähne des Oberkiefers zuweilen noch ein kleiner einwurzeliger tritt, und daß die Hinterfüße drei Zehen haben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 330-331.
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