Großer Eisvogel (Limenitis populi)

[359] Der große Eisvogel oder Aspenfalter (Limenitis populi, Fig. 1, S. 365) zählt nächst den Rittern zu den stattlichsten europäischen Tagschmetterlingen, denn solche von sieben Centimeter Flügelspannung gehören noch nicht zu den größten. Ein Bewohner der Wälder – denen des nordwestlichen Deutschland scheint er zu fehlen – beherrscht er die höheren Luftschichten und hält es unter seiner Würde, sich auf den Blumen unter das kleine Gesindel zu mischen. Man sieht ihn besonders die Pfützen der Waldwege aufsuchen, wo er eifrig saugt und, obschon sonst sehr scheu, sich leicht fangen läßt. Ich sah vor Zeiten Mitte Juni, denn nur zu dieser Zeit fliegt der Schmetterling einige Wochen, eines der viel selteneren und von den Sammlern gesuchten Weibchen hoch oben in den Lüften über eine Lichtung im Walde herbeigeflogen kommen und neben einem Bache förmlich einfallen, als wenn es von weitem das Wasser gewittert hätte. In diesem Zuge und Fluge lag etwas ganz anderes, als man für gewöhnlich bei den Schmetterlingen beobachtet und welches in Worte übersetzt etwa so lauten würde: »Ich habe gar nichts zu versäumen; komme ich heute nicht hierher, so ist morgen auch noch ein Tag, und komme ich morgen nicht, so liegt wenig daran, das Wohin bleibt sich ja ganz gleich, wenn ich nur meine Zeit in gemächlicher Bewegung verbringe«. Jenes Weibchen wußte, wohin es wollte, die Ausführung seines Willens gereichte ihm freilich zum Verderben; denn es gerieth in die Gewalt des Jägers, bedeckt mit dem Netze, war es um seine Freiheit, um sein Leben geschehen. Bei ihm wird die tiefbraune Oberfläche der am Saume etwas geschwungenen Flügel durch eine weiße Fleckenbinde, die quer über die Hinterflügel läuft, unterbrochen, auf den vorderen durch einzelne weiße Flecke, deren mittlere sich gleichfalls zu einer schrägen Querbinde ordnen. Beim Männchen ist diese weiße Zeichnung eben nur angedeutet. Außerdem unterscheidet man bei beiden Geschlechtern nahe dem Saume schwarze, gestreckte Flecke, welche von innen durch lichte, gelbrothe Halbmonde eingefaßt werden und in der Regel auf den Hinterflügeln deutlicher und vollständiger hervortreten, als auf den vorderen. Im Vergleiche zu dieser eintönigen, mehr düsteren Färbung überrascht die lebhafte und bunte Färbung der Unterseite. Die weißen Zeichnungen der Oberseite treten hier schärfer und bestimmter hervor, auch beim Männchen; die Grundfarbe bildet jenes Gelbroth der Mondflecke von oben, unterbrochen von schwarzen Fleckenreihen, welche auch auf der Oberfläche angedeutet sind; nur der Innenrand der Hinterflügel und der wellige, schwarz besäumte Hinterrand beider Flügel sind bleigrau; an den Vorderflügeln hat die Innenecke einen schwarzen Anflug. Die grünlichgelbe, am vierten, sechsten, achten und neunten Ringe röthlichbraune, braun und schwärzlich gefleckte und gestreifte Raupe hat große Spiegelflecke an den Seiten des fünften und siebenten Gliedes und zwei Reihen dicker Fleischzapfen mit geknopften Härchen längs des Rückens, von welchen die im Nacken bedeutend länger sind als die übrigen. Sie lebt im Mai und anfangs Juni von der ersten Brut und dann wieder im Juli und August auf hohen Zitterpappeln, und hängt sich zur Verpuppung gern an den Blättern auf. Die gelbliche, braun und schwarz gefleckte Puppe ist am Kopf und Brustrücken höckerig und hat an letzterem einen henkelartigen Auswuchs; die der ersten Brut kriecht schon nach acht bis neun Tagen aus. – Limenitis enthält noch mehrere kleinere Arten, welche in der Zeichnung, wenn auch nicht in der Farbenmischung, viel Aehnlichkeit haben und darin, wie im Flügelschnitte, der Bedornung ihrer Raupen, welche alle an Bäumen leben, den Gattungscharakter wahren.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 359.
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