Grünwald-Zerkowitz, Frau Sidonie

[290] *Grünwald-Zerkowitz, Frau Sidonie, Wien I. Tuchlauben 7, geboren zu Tobitschau (Mähren) im Jahre 1858. Die Tochter eines Arztes von poetischer Natur und einer begabten Mutter, war Sidonie schon frühzeitig bestrebt, die Lage der Eltern durch eigenen Erwerb behaglicher zu gestalten. Sie suchte durch Privatunterricht im Französischen, für welche Sprache sie die Lehrerinnenprüfung bestand, und anderen Fächern diesem Bestreben gerecht zu werden. In Budapest erlernte sie die ungarische Sprache, in welcher sie nach 11/2jährigem Aufenthalte daselbst die Prüfung als Lehrerin dieser Sprache ablegte. Ihre gewinnende Erscheinung und ihr selbständiges geistvolles Wesen voll Energie erregten das Interesse der Budapester Schriftsteller- und Gelehrtenkreise, auch erweckte die Leichtigkeit, mit welcher sie sich die magyarische Sprache angeeignet hatte, allgemeine Verwunderung; denn sie schrieb, bald nachdem sie die Volksschul- und bald darauf die Bürgerschullehrerinnenprüfung mit glänzendem Erfolge in magyarischer Sprache abgelegt hatte, lyrische Gedichte, Essays, pädagogische Artikel in diesem fremden Idiom für die ersten Tagesblätter in Budapest und wurde bald in den wissenschaftlichen und Schriftstellerkreisen so bekannt, dass sich die Aufmerksamkeit des Unterrichtsministers Trefort auf die junge Lehramtskandidatin richtete. Er fand in deren veröffentlichten pädagogischen Artikeln manche beherzigenswerte Ansicht, welche bei den Reformen der höheren staatlichen Mädchenanstalten in Ungarn zum Ausdruck kam. – Sidonie erhielt bald darauf eine Stelle als Lehrerin an einer städtischen Schule in Budapest. Ihr Ehrgeiz, ihre Talente und künstlerischen Neigungen und ihre nicht gewöhnliche, durch eigenen Fleiss erworbene Bildung liessen eine innere Befriedigung mit ihrem Beruf nicht zu. Einen Heiratsantrag des ungarischen Dichters Koloman Tóth schlug sie aus. Vielfachen Aufforderungen und Aneiferungen, sich der Bühne zu widmen, für die sie prädestiniert sei, widerstand sie. Doch dieser Widerstand wurde gebrochen, als ihr mitgeteilt wurde, König Ludwig II. von Bayern interessiere sich für sie und wolle sie auf seine Kosten für die Bühne ausbilden lassen. Im November 1874 fuhr sie nach München zu einer Probedeklamation auf dem Hoftheater, die glänzend ausfiel und auf welche ihr die Ausbildung auf Kosten des Königs gesichert wurde. Zwei Tage später lernte sie den Enkel des griechischen Nationalhelden Theodoros[290] Kolokotronis kennen. Der hinkende junge Mann machte keinen günstigen Eindruck auf die angehende Künstlerin, nichtsdestoweniger liess sie sich von ihm bethören. Sie selbst schreibt über diese Episode ihres Lebens »Von fast fieberhafter, ja unheimlicher Leidenschaft für mich ergriffen, verstand er es, mich unerfahrenes, berechnender Begierde ahnungslos gegenüber stehendes Mädchen so zu umgarnen, ja zu hypnotisieren, dass meine Phantasie mich rettungslos in das Netz trieb.« Er trug ihr seine Hand an, erzählte ihr von seinen Reichtümern, dem berühmten Namen seiner Familie. Und in dem Gedanken, dass mit einem Schlage die Position ihrer Familie eine gesicherte und glänzende sei, und nachdem überdies der Hoftheater-Intendant Baron v. Perfall auf ihre diesbezügliche Frage geantwortet hatte: »es ist besser eine Fürstin Kolokotroni zu sein, als eine Rachel in spe erst werden zu wollen«, nahm sie die Hand des jungen griechischen Aristokraten an und wurde, nachdem sie vorher zum Katholicismus übergetreten, in Venedig in der Markuskirche mit dem Fürsten Kolokotroni getraut. In Athen angekommen, erhielt sie sehr bald die Gewissheit, dass von dem vorgespiegelten Vermögen nichts mehr vorhanden sei, da ihr nunmehriger Gatte selbst es vergeudet hatte. Auch flösste ihr sein Wesen Antipathie ein. Sie bot nunmehr alles auf, sich von ihm frei zu machen, was ihr auch mit Hilfe angesehener Persönlichkeiten gelang. Sie kehrte in das Elternhaus zurück, genas nach einigen Monaten eines Knaben. Nach 11/2jährigem Aufenthalt in einem Dorfe in Mähren bewarb sich ein vermögender Kaufmann Grünwald in Wien, Witwer mit vier Kindern, um ihre Hand, die sie ihm auch am Traualtar gab. Aus dieser Ehe entstammen zwei Knaben und zwei Mädchen. Frau Grünwald-Zerkowitz lebt seither in Wien, wo sie eine Modezeitung mit französischem Texte in deutscher Übersetzung, betitelt »La Mode« herausgiebt, in welcher sie auf das Ziel hinarbeitet, bei jeder Toilette zu individualisieren. Ihre Idee, eine staatliche Modeakademie für das Bekleidungskunsthandwerk in Wien zu schaffen, hat sie in einer Schrift »Die Mode in der Frauenkleidung« (Wien 1889, Georg Szelinski) entwickelt. Nach glaubwürdigen Quellen geht seit etwa zehn Jahren von ihr der Anstoss zu den Moden in Wien und Paris aus. Sie hat stark besuchte Vorlesungen über die Mode in der Frauenkleidung in Wien und Konstantinopel gehalten. Aber auch auf litterarischem Gebiete war Frau Grünwald-Zerkowitz sehr thätig. Abgesehen von einer Geschichte der ungarischen Litteratur: »Magyar irodalom története, Szerkesztette Zerkovitz Sidonia. (Budapest, Franklin-Gesellschaft) und einem Werkchen »Zwanzig Gedichte von Koloman Tóth, aus dem Ungarischen« (Wien 1874, Rosner) und Übersetzungen aus verschiedenen Sprachen, welche sie noch als Lehrerin in Budapest im Jahre 1874 veröffentlichte, erschienen von ihr auch Dichtungen, die einen ungewöhnlichen Erfolg hatten. »Die Lieder der Mormonin« (Hermann Dürselen, Leipzig 1886), sowie »Das Gretchen von heute« (Wien 1890, Verlag der »La Mode«), zwei Bücher von sozialer Tendenz, erregten Aufsehen. Ein drittes Werk, welches die Psychodramatischen Zeitbilder vervollständigen soll, mit[291] dem Titel »Aus dem Harem« wird im nächsten Jahre erscheinen. »Das Gretchen von heute« ist wegen der sinnberückenden Darstellungsweise der erotischen Leidenschaft in Österreich verboten. Es erschienen noch aus ihrer Feder Essays und Feuilletons.

‒ Das Gretchen von heute. 6. Aufl. 8. (171 m. Bild) Wien, Administration der Pariser illustrierten Modezeitung »La Mode«. n 2 –; geb. m. Goldschn. n 3.50

‒ Die Lieder d. Mormonin. Papyrus. 2. Teil. 6. Aufl. Leipzig, Herm. Dürselen. geb. 5.–

‒ Die Mode in der Frauenkleidung. 8. (43) Wien 1889, Gg. Szelinski. n –.80

Quelle:
Pataky, Sophie: Lexikon deutscher Frauen der Feder Bd. 1. Berlin, 1898., S. 290-292.
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