§ 31. Substanz und Kausalität.

  • [334] Literatur: EDM. KOENIG, Die Entwicklung des Kausalproblems, 2 Bde. Leipzig 1888-90.

Der sachliche Erfolg der neuen Methoden war in der Metaphysik wie in der Naturwissenschaft eine Umgestaltung der Grundvorstellungen von dem[334] Wesen der Dinge und von der Art ihres Zusammenhanges im Geschehen: die Begriffe der Substanz und der Kausalität gewannen einen neuen Inhalt. Aber diese Veränderung konnte in der Metaphysik nicht so radikal vorgehen, wie in der Naturwissenschaft. Auf diesem begrenzteren Gebiete vermochte man, nachdem einmal das Galileische Prinzip gefunden war, gewissermaßen ab ovo zu beginnen und eine in der Tat vollkommen neue Theorie zu liefern: in den allgemeineren philosophischen Lehren war die Macht und das Recht der Tradition viel zu groß, als daß sie hätte völlig beiseite geschoben werden können.

Dieser Unterschied machte sich schon bei dem delikaten Verhältnis zu den religiösen Begriffen geltend. Die Naturforschung konnte sich gegen die Theologie absolut isolieren und sich dagegen völlig indifferent verhalten: die Metaphysik wurde durch den Begriff der Gottheit und durch die Theorie von der geistigen Welt immer wieder sei es in feindliche, sei es in freundliche Berührung mit dem religiösen Vorstellungskreise gebracht. Ein Galilei erklärte, daß die Untersuchungen der Physik, welches auch ihr Resultat sei, mit der Lehre der Bibel nicht das Geringste zu tun hätten694, und einen Newton hinderte seine mathematische Naturphilosophie nicht, sich mit wärmster Frömmigkeit in die Geheimnisse der Apokalypse zu vertiefen. Die Metaphysiker aber, mochten sie religiös noch so indifferent denken und ihre Wissenschaft nur im rein theoretischen Geiste betreiben, mußten doch immer darauf Bedacht haben, daß sie von Gegenständen zu handeln hatten, welche für die Kirchenlehre eine wichtige und wesentliche Bedeutung besaßen. Dies gab der neueren Philosophie eine einigermaßen heikle Stellung: die mittelalterliche Philosophie hatte den Gegenständen des Dogmas auch ihrerseits ein wesentlich religiöses Interesse entgegengebracht; die neuere betrachtete sie, wenn überhaupt, nur aus dem theoretischen Standpunkte. Am sichersten fühlten sich daher diejenigen, welche wie Bacon und Hobbes auch die Philosophie ganz auf Naturforschung beschränkten, eine eigentliche Metaphysik ablehnten und über Fragen wie die nach der Gottheit und der übersinnlichen Bestimmung des Menschen nur das Dogma reden lassen wollten. Bacon tat das mit großen Worten, hinter denen seine wahre Gesinnung schwer zu erkennen ist695; Hobbes ließ eher durchblicken, daß seine naturalistische Meinung nach Art der epikureischen in den übernatürlichen Vorstellungen einen auf Mangel an Naturerkenntnis beruhenden Aberglauben sah, der durch die staatliche Ordnung erst zur bindenden Macht der Religion werde.696 Sehr viel schwieriger aber war die Stellung derjenigen Philosophen, welche den metaphysischen Begriff der Gottheit in der Naturerklärung selbst festhielten; Descartes' ganze literarische Tätigkeit ist von der ängstlichen Vorsicht zur Vermeidung jeden religiösen Anstoßes erfüllt, während Leibniz viel positiver die Konformität seiner Metaphysik mit der Religion durchzuführen versuchen konnte; und anderseits zeigte das Schicksal Spinozas, wie gefährlich es war, wenn die Philosophie die Verschiedenheit ihres Gottesbegriffs von dem dogmatischen offen hervorkehrte.

1. Die Hauptschwierigkeit der Sache aber steckte in dem Umstande, daß[335] das neue methodische Prinzip der Mechanik jede Zurückführung der körperlichen Erscheinungen auf geistige Kräfte ausschloß. Die Natur wurde entgeistert, die Wissenschaft wollte in ihr nichts als die Bewegungen kleinster Körper sehen, von denen eine die Ursache der andern sei. Da blieb kein Raum für die Einwirkung übernatürlicher Mächte. So wurden zunächst mit Einem Schlage Magie, Astrologie und Alchymie, in denen der neuplatonische Geisterspuk gewaltet hatte, zu wissenschaftlich überwundenen Irrungen. Schon Lionardo hatte verlangt, daß die Erscheinungen der Außenwelt nur durch natürliche Ursachen erklärt werden sollten: die großen Systeme des 17. Jahrhunderts erkennen ausnahmslos nur solche an, und ein Cartesianer, Balthasar Bekker, schrieb ein eigenes Buch697, um zu zeigen, daß nach den Prinzipien der modernen Wissenschaft alle Geistererscheinungen, Beschwörungen, Zaubereien unter die verderblichen Irrtümer gerechnet werden mußten – ein Mahnwort, das dem reichlichen Aberglauben der Renaissance gegenüber sehr am Platze war.

Mit den Geistern mußte aber auch die Teleologie weichen. Die Erklärung von Naturerscheinungen durch ihre Zweckmäßigkeit lief zuletzt immer irgendwie auf den Gedanken einer geistigen Erzeugung oder Ordnung der Dinge hinaus: und so widersprach sie dem Prinzip der Mechanik. An diesem Punkte war der Sieg des Demokritismus über die platonisch-aristotelische Naturphilosophie am fühlbarsten: diesen betonte aber auch die neue Philosophie am kräftigsten. Bacon rechnete die teleologische Naturbetrachtung zu den Idolen, und zwar zu den gefährlichen Gattungsidolen, zu den Grundirrtümern, welche dem Menschen durch seine Natur selbst vorgespiegelt werden: er leugnete zwar nicht, daß die Metaphysik als historisch überlieferte Disziplin sich mit den Endursachen beschäftige, wies aber der Physik als eigentlicher Wissenschaft die Erkenntnis der lediglich mechanischen Ursachen, der causae efficientes zu und betrachtete die Einsicht in die »Naturen« oder »Formen« (vgl. oben § 30, 1) als ein Zwischengebiet, auf dem sich die Metaphysik mit der höheren Physik zusammenfinden sollte698, Bei Hobbes, der sein und Galileis Schüler war, ist die Beschränkung der wissenschaftlichen Erklärung auf die rein mechanischen Ursachen selbstverständlich. Aber auch Descartes will alle finalen Ursachen von der Erklärung der Natur ferngehalten sehen, – er erklärt es für verwegen, die Absichten Gottes erkennen zu wollen.699 Viel offener und bei weitem am schärfsten polemisiert endlich Spinoza700 gegen den Anthropomorphismus der Teleologie. Bei seiner Vorstellung von Gott und dessen Verhältnis zur Welt ist es absurd, von Zwecken der Gottheit und gar von solchen zu reden, die sich auf den Menschen beziehen: wo alles mit ewiger Notwendigkeit aus dem Wesen der Gottheit folgt, ist für ein e Zwecktätigkeit kein Raum. Gegen diesen mechanisch-antiteleologischen Grundzug der neuen Metaphysik haben die englischen Neuplatoniker, wie Cudworth und Henry More, mit der ganzen Beredsamkeit der alten Argumente, aber erfolglos gekämpft. Die teleologische Ueberzeugung mußte auf die wissenschaftliche Erklärung der einzelnen Erscheinungen definitiv verzichten, und nur in der metaphysischen Gesamtauffassung fand schließlich Leibniz (vgl. unten Nr. 8) und ähnlich ein Teil der[336] englischen Naturforscher einen befriedigenden Ausgleich zwischen den widerstrebenden Prinzipien.

Mit dem Ausschluß des Geistigen aus der Naturerklärung fiel aber noch ein drittes Moment der alten Weltanschauung dahin: die Meinung von der Verschiedenartigkeit und Verschiedenwertigkeit der Sphären der Natur, wie sie nach altpythagoreischen Vorgange in dem neuplatonischen Stufenreich der Dinge am deutlichsten ausgeprägt war. In dieser Hinsicht hatte die phantastische Naturphilosophie der Renaissance schon kräftig vorgearbeitet. Durch Nicolaus Cusanus war die stoische Lehre von der Allgegenwart aller Stoffe an jedem Punkte des Weltalls erneuert worden; aber erst mit dem Siege des kopernikanischen Systems war, wie mau bei Bruno sieht, auch die Vorstellung von der Gleichartigkeit aller Teile des Universums völlig durchgedrungen: die sublunarische Welt konnte nicht mehr als das Reich der Unvollkommenheit der geistigen Sphäre des Sternenhimmels gegenübergestellt werden; Stoff und Bewegung sind in beiden gleich. Von diesem Gedanken gingen Kepler und Galilei aus, und er vollendete sich, als Newton die Identität der Kraft im Fall des Apfels und im Umschwung der Gestirne erkannte. Für die moderne Naturwissenschaft besteht der alte Wesens- und Weltunterschied von Himmel und Erde nicht mehr. Das Universum ist durchweg einheitlich. Dieselbe Anschauung aber kehrte sich auch gegen das aristotelisch-thomistische Entwicklungssystem von Stoffen und Formen sie räumte mit dem ganzen Heer der niederen und höheren Kräfte – der vielbekämpften qualitates occaltae – auf, sie erkannte als Erklärungsgrund aller Erscheinungen nur das mechanische Prinzip der Bewegung an, und sie hob deshalb auch den prinzipiellen Unterschied zwischen dem Lebendigen und dem Unbelebten auf. Wenn hier der Neuplatonismus durch die Anschauung der Allebendigkeit des Universums zur Ueberwindung jenes Gegensatzes von der entgegengesetzten Seite her mitgewirkt hatte, so erwuchs nun der Galileischen Mechanik umgekehrt die Aufgabe, auch die Erscheinungen des Lebens mechanisch zu erklären. Die Elltdeckullg des Mechanismus des Blutumlaufs durch Harvey (1606)701 gab dieser Tendenz einen lebhaften Impuls; Descartes sprach es prinzipiell aus, daß die animalischen Leiber wissenschaftlich als komplizierteste Automaten anzusehen und daß ihre Lebenstätigkeiten als mechanische Prozesse zu betrachten seien. Hobbes und Spinoza führten diesen Gedanken schon genauer durch; in den Aerzteschulen Frankreichs und der Niederlande begann ein eifriges Studium der Reflexbewegungen, und der Begriff der Seele als Lebenskraft ging seiner völligen Zersetzung entgegen. Nur die Platoniker und Anhänger des paracelsisch-boehmeschen Vitalismus, wie van Helmont, hielten in alter Weise daran fest.

2. Diese mechanistische Entgeistigung der Natur entsprach nun durchaus jener dualistischen Weltansicht, welche aus erkenntnistheoretischen Motiven sich in dem terministischen Nominalismus vorbereitet hatte, der Ansicht von einer totalen Verschiedenheit der innerlichen und der äußeren Welt. Zu der Behauptung ihrer qualitativen Differenz trat jetzt diejenige ihrer realen und kausalen Getrenntheit. Die Welt der Körper erschien[337] nicht nur ganz andersartig als diejenige des Geistes, sondern auch in ihrer Existenz und in dem Ablauf ihrer Bewegungen durchaus davon gesondert. Zur Verschärfung jenes Gegensatzes hatte in der Philosophie der Renaissance die humanistisch erneuerte Lehre von der Intellektualität der Sinnesqualitäten außerordentlich viel beigetragen. Aus der skeptischen und der epikureischen Literatur war die Lehre, daß Farben, Töne, Gerüche, Geschmäcke, Druck-, Wärme- und Tastqualitäten nicht wirkliche Eigenschaften der Dinge, sondern nur Zeichen für solche im Geiste seien, unter Wiederholung der antiken Beispiele in die meisten Lehren der neueren Philosophie übergegangen. Vives, Montaigne, Sanchez, Campanella waren darin einig; Galilei702, Hobbes, Descartes703 erneuerten die demokritische Lehre, wonach diesen qualitativen Differenzen der Wahrnehmung in natura rerum nur quantitative Unterschiede so entsprächen, daß jene die innere Vorstellungsweise für diese seien. Descartes betrachtete die sinnlichen Qualitäten als dunkle und verworrene Vorstellungen, während ihm die Auffassung der quantitativen Bestimmungen der Außenwelt ihres mathematischen Charakters wegen als die einzig klare und deutliche, d.h. wahre Vorstellung davon galt.

Deshalb gehören nach Descartes nicht nur die sinnlichen Gefühle, sondern auch die Empfindungsinhalte nicht der räumlichen, sondern nur der seelischen Welt an und vertreten in dieser die geometrischen Gebilde, deren Zeichen sie sind. Freilich können wir704 von diesem wahren mathematischen Wesen der Körper bei der Erforschung des einzelnen eine Kenntnis nur mit Hilfe der Wahrnehmungen gewinnen, in denen es stets mit den qualitativen Elementen der »Imagination« versetzt ist. Aber darin eben besteht die Aufgabe der physikalischen Forschung, durch die Reflexion auf die klaren und deutlichen Elemente der Wahrnehmung dies reale Wesen der Körper aus den subjektiven Vorstellungsweisen herauszulösen. John Locke, der sich auch diese Ansicht Descartes' später popularisierend aneignete, bezeichnete705, wie es scheint nach dem Vorgange von Rob. Boyle, diejenigen Eigenschaften, welche hiernach dem Körper an sich zukommen, als primär, dagegen als sekundär solche, welche ihm nur vermöge seiner Wirkung auf unsere Sinne, bezw. unsere Sinnesempfindung zukommen.706 Descartes ließ als primäre Eigenschaften nur Gestalt, Größe, Lage und Bewegung gelten, so daß ihm der physikalische Körper mit dem mathematischen zusammenfiel (vgl. unten Nr. 4). Um dagegen die Unterscheidung beider aufrecht zu erhalten, verlangte Henry More707 auch die Undurchdringlichkeit (tangibilitas sive impenetrabililas) als Prinzip der Raumerfüllung zum Wesen des Körpers zu rechnen, und danach nahm später auch Locke708 die solidity unter die primären Eigenschaften auf.

Bei Hobbes709 verschieben sich diese Gedanken mehr nach der terministischen[338] Auffassung hin. Ihm gelten der Raum (als phanasma rei existentis) und die Zeit (als phantasma motus) in ihrer allgemeinen Bedeutung als rein innerliche Vorstellungsprodukte, die sich nach psychologischem Mechanismus aus den Wahrnehmungen einzelner Räume und einzelner Zeiten im Bewußtsein erzeugen, und gerade deshalb, weil wir sie in dieser Weise selbst konstruieren, hat die mathematische Theorie den Vorzug der einzig rationalen Wissenschaft. Statt aber daraus phänomenalistische Konsequenzen zu ziehen, folgert er, die Philosophie könne nur von Körpern handeln und müsse alles Geistige der Offenbarung überlassen. Gleichwohl besteht ihm infolgedessen das wissenschaftliche Denken nur in der immanenten Verknüpfung von Zeichen. Diese sind teils unwillkürlich in den Wahrnehmungen, teils willkürlich in den Worten. (Aehnlich Occam, vgl. § 27, 4.) Erst durch die letzteren werden allgemeine Begriffe und Sätze möglich. Unser Denken ist daher ein Rechnen mit Wortzeichen. Es hat seine Wahrheit in sich und steht als etwas völlig Heterogenes neben der Außenwelt, auf die es sich bezieht.

3. Alle diese Anregungen verdichten sich bei Descartes zu der Lehre von dem Dualismus der Substanzen. Die analytische Methode sollte die einfachen, selbstverständlichen, nicht weiter ableitbaren Elemente der Wirklichkeit auffinden. Descartes entdeckte, daß alles Erfahrbare entweder eine Art des räumlichen oder des bewußten Seins ist. Räumlichkeit und Bewußtsein (»Ausdehnung« und »Denken« nach der gewöhnlichen Uebersetzung von extensio und cogitatio) sind die letzten, einfachen, ursprünglichen Attribute der Realität. Alles was ist, ist entweder räumlich oder bewußt. Diese beiden Urprädikate verhalten sich zueinander disjunktiv: was räumlich ist, ist nicht bewußt; was bewußt ist, ist nicht räumlich. Die Selbstgewißheit des Geistes ist nur diejenige der Persönlichkeit als eines bewußten Wesens. Der Körper ist nur so weit real, als er die quantitativen Bestimmungen räumlichen Seins und Geschehens, der Ausdehnung und der Bewegung, an sich hat. Alle Dinge sind entweder Körper oder Geister; die Substanzen sind entweder räumlich oder bewußt: res extensae und res cogitantes.

So zerfällt die Welt in zwei völlig verschiedene und willig getrennte Reiche: das der Körper und das der Geister. Aber im Hintergrunde dieses Dualismus steht bei Descartes der Begriff der Gottheit als des ens perfectissimum oder der vollkommenen Substanz. Körper und Geister sind endliche Dinge, Gott ist das unendliche Sein.710 Die Meditationen lassen keinen Zweifel darüber, daß Descartes den Gottesbegriff ganz nach der Auffassung des scholastischen Realismus übernahm. Der menschliche Geist soll in seinem eigenen Sein, das er als ein begrenztes und unvollkommenes erkennt, mit derselben intuitiven Gewißheit auch die Realität des vollkommenen unendlichen Seins erfassen (vgl. oben § 30, 5). Zu dem ontologischen Argument kommt das Verhältnis von Gott und Welt in der durch Nicolaus Cusanus zur Geltung gebrachten Form des Gegensatzes des Unendlichen und des Endlichen hinzu.. Jene Verwandtschaft aber mit dem Realismus des Mittelalters tritt gerade am deutlichsten in der auf Descartes folgenden Entwicklung der Metaphysik hervor: denn die pantheistischen Konsequenzen dieser Voraussetzung, welche[339] in der scholastischen Zeit mühsam zurückgehalten worden waren, wurden jetzt mit voller Klarheit und Sicherheit ausgesprochen. und wenn in den Lehren von Descartes' Nachfolgern eine starke Aehnlichkeit mit solchen zu finden ist, welche im Mittelalter nur eine mehr oder minder unterdrückte Existenz führen konnten, so begreift sich dies auch ohne die Annahme einer direkten historischen Abhängigkeit bloß durch den pragmatischen Zusammenhang und die sachliche Notwendigkeit der Folgerungen.

4. Der gemeinsame metaphysische Name der »Substanz« für Gott im unendlichen, für Geister und Körper im endlichen Sinne konnte die Probleme, die darunter verborgen waren, nicht dauernd verdecken. Der Begriff der Substanz war in Fluß geraten und bedurfte weiterer Umgestaltung. Mit der Vorstellung des »Dinges«, der Kategorie der Inhärenz, hatte er fast die Fühlung verloren: denn gerade die dieser Kategorie wesentliche Verknüpfung einer Mannigfaltigkeit von Bestimmungen zur Vorstellung eines einheitlich Wirklichen fehlte in Descartes' Begriff der endlichen Substanzen völlig, indem diese durch eine Grundeigenschaft, der Räumlichkeit oder des Bewußtseins, charakterisiert sein sollten. Alles was sich sonst an den Substanzen fand, mußte also als Modifikation ihrer Grundeigenschaft, ihres Attributs betrachtet wer den. Alle Eigenschaften und Zustände des Körpers sind Modi seiner Räumlichkeit (Ausdehnung), alle Eigenschaften und Zustände des Geistes sind Modi des Bewußtseins (modi cogilandi).

Darin jedoch liegt, daß alle zu einer der beiden Klassen gehörigen Einzelsubstanzen, also einerseits alle Körper, anderseits alle Geister, ihrem Wesen, ihrem konstitutiven Attribut nach gleich sind. Von hier aber ist nur noch ein Schritt zu der Vorstellung, daß diese Gleichheit als metaphysische Identität gedacht wird. Alle Körper sind räumlich, alle Geister sind bewußt: die einzelnen Körper unterscheiden sich voneinander nur durch verschiedene Modi der Räumlichkeit (Gestalt, Größe, Lage, Bewegung), die einzelnen Geister unterscheiden sich voneinander nur durch verschiedene Modi des Bewußtseins (Ideen, Urteile, Willenstätigkeiten). Die einzelnen Körper sind Modi der Räumlichkeit, die einzelnen Geister sind Modi des Bewußtseins. Auf diese Weise erhält das Attribut das metaphysische Uebergewicht über die einzelnen Substanzen, die jetzt als seine Modifikationen erscheinen; aus den res extensae werden modi extensionis, aus den res cogitanes modi cogitationis.

Descartes selbst hat diese Konsequenz nur auf dem naturphilosophischen Gebiete gezogen, worauf er überhaupt die prinzipielle Ausführung seiner metaphysischen Lehre beschränkte. Hier aber nahm der allgemeine Begriff der »Modifikation« von selbst eine bestimmte und auschauliche Bedeutung an, diejenige der Begrenzung (determinatio). Die Körper sind Teile des Raumes, Begrenzungen der allgemeinen Räumlichkeit oder Ausdehnung.711 Daher fällt für Descartes der Begriff des Körpers mit demjenigen einer begrenzten Raumgröße zusammen. Der Körper ist seinem wahren Wesen nach ein Stück Raum. Die Elemente der Körperwelt sind die »Korpuskeln«712, d.h. die realiter nicht[340] mehr teilbaren, festen Raumstücke: als mathematische Gebilde aber sind auch sie bis ins Unendliche teilbar, d.h. es gibt keine Atome. Ebenso folgt aus diesen Voraussetzungen für Descartes die Unmöglichkeit des leeren Raumes und die Unendlichkeit der Körperwelt.

Für die Geisterwelt ist die analoge Forderung von Malebranche ausgesprochen worden. Im Zusammenhange mit den erkenntnistheoretischen Motiven (vgl. unten Nr. 8), die ihm keine andere Erkenntnis der Dinge als die in Gott möglich erscheinen ließen, kam er713 auf den Begriff der Raison universelle, die, in allen Einzelgeistern gleich, nicht zu den Modi des endlichen Geistes gehören kann, sondern von der vielmehr die endlichen Geister selbst Modifikationen sind, die aber eben deshalb nichts anderes sein kann, als ein Attribut Gottes. Insofern ist Gott der »Ort der Geister«, ebenso wie der Raum der Ort der Körper ist. Auch hier liegt – und zwar in noch höherem Maße – das begriffliche Verhältnis des Allgemeinen und des Besonderen zugrunde, und anderseits wird doch dies Verhältnis nach Analogie der cartesianischen Auffassung vom Raum und vom Körper anschaulich als Partizipation714 gedacht. Alle menschliche Einsicht ist eine Partiziyation an der unendlichen Vernunft, alle Ideen der endlichen Dinge sind nur Determinationen der Idee Gottes, alle auf das einzelne gerichteten Begierden nur Partizipationen an der dem endlichen Geist notwendig innewohnenden Liebe zu Gott als seinem Wesens- und Lebensgrunde. Freilich kam Malebranche dadurch, daß er so den endlichen Geist völlig in den allgemeinen Gottesgeist als dessen Modifikation aufgehen ließ, in eine sehr bedenkliche Lage. Denn wie sollte er hiernach die Selbständigkeit und Selbsttätigkeit erklären, welche doch in den Gott widerstrebenden Neigungen und Willenstätigkeiten des Menschen ganz offenkundig vorzuliegen schien? Da half nichts als das Wort »Freiheit«, wobei denn freilich Malebranche bekennen mußte, die Freiheit sei ein undurchdringliches Geheimnis.715

5. In diesem Gedankengange von Malebranche tritt die unabweisbare Folgerichtigkeit zutage, womit die Attribute, welche bei Descartes als das gemeinsame Wesen je einer der beiden Klassen von endlichen Substanzen galten, schließlich selbst nur als die Attribute der unendlichen Substanz oder der Gottheit gedacht werden konnten. Genau darin aber besteht das Grundmotiv des Spinozismus, der sich in dieser Richtung direkt und zuerst aus dem Cartesianismus heraus und sogleich bis zur letzten Konsequenz entwickelt hat. Auch er hält ebenso an dem qualitativen wie an dem kausalen Dualismus von Räumlichkeit und Bewußtsein fest. Die räumliche und die geistige Welt sind durchaus heterogen und absolut unabhängig voneinander. Aber die ganze endlose Reihe der Körper mit ihren Teilungen, Gestaltungen und Bewegungen bedeutet ebenso nur die Modi der Räumlichkeit, wie die endlose Reihe der Geister mit ihren Ideen und Volitionen nur die Modi des Bewußtseins. Diesen endlichen »Dingen« gebührt daher nicht mehr der Name der »Substanz«. Substanz kann nur dasjenige heißen, dessen Attribute die Räumlichkeit und das[341] Bewußtsein selbst sind: das unendliche Sein, die Gottheit. Ihr Wesen aber kann wiederum sich nicht in diesen beiden der menschlichen Erfahrung zugänglichen Attributen erschöpfen: das ens realissimum involviert in sich die Wirklichkeit durch unendlichen Anzahl aller möglichen Attribute.

Auch hierfür liegt der letzte Grund in dem scholastisch-realistischen Begriffe des allerrealsten Wesens. Spinozas Definition der Substanz oder der Gottheit als des Wesens (essentia), das seine Existenz involviert, ist nur der verdichtete Ausdruck des ontologischen Beweises für das Dasein Gottes: die »Aseität« ist in dem Terminus »causa sui« aufrecht erhalten, die Substanz als dasjenige »quod in se est et per se concipitur « ist wiederum nur eine andere Umschreibung desselben Gedankens. Von diesen Definitionen aus war der Beweis für die Einzigkeit und Unendlichkeit der Substanz716 selbstverständlich.

Daß wir es aber hier, metaphysisch betrachtet, mit einem durchweg »realistischen« Gedankengange zu tun haben, ergibt sich deutlich aus Spinozas Lehre von dem Wesen der Substanz selbst und ihrem Verhältnis zu den Attributen. Denn von der Substanz oder der Gottheit sagt das spinozistische System schlechterdings nichts weiter aus, als was in dem Begriffe des ens realssimum, des absoluten Seins, an formalen Bestimmungen enthalten ist. Jedes inhaltliche Prädikat dagegen wird ausdrücklich verneint: insbesondere läßt es Spinoza sich angelegen sein, die Modifikationen des Bewußtseins wie Erkenntnis und Willen dem göttlichen Wesen abzusprechen.717 Ebensowenig (wie sich von selbst versteht) erkennt er diesem Modifikationen der Räumlichkeit als Prädikate seines Wesens zu, obwohl er dies besonders auszusprechen keine polemische Veranlassung hatte. Gott selbst also ist weder Geist noch Körper, von ihm kann nur gesagt werden: er ist. Es ist deutlich, daß hier mit veränderter Ausdrucksweise das alte Prinzip der negativen Theologie vorliegt. Die Erkenntnis aller endlichen Dinge und Zustände fahrt auf zwei höchste Allgemeinbegriffe, Räumlichkeit und Bewußtsein: diesen beiden wird eine höhere metaphysische Dignität zugeschrieben als den endlichen Dingen; sie sind die Attribute, und die Dinge sind ihre Modi. Steigt nun aber die Abstraktion von diesen beiden letzten inhaltlichen Bestimmungen zu dem Allgemeinsten, dem ens generalissimum, auf, so fällt aus dessen Begriff aller bestimmte Inhalt fort, und es bleibt nur die leere Form der Substanz übrig. Auch für Spinoza ist die Gottheit alles und damit – nichts. Seine Gotteslehre liegt ganz auf dem Wege der Mystik.718

Wenn aber Gott so das allgemeine Wesen der endlichen Dinge ist, so existiert er nicht anders als in ihnen und mit ihnen. Das trifft zunächst die Attribute: Gott ist nicht von ihnen und sie sind nicht von ihm verschieden, so wenig wie die Dimensionen des Raumes von diesem selbst verschieden sind. Daher kann Spinoza auch sagen, Gott bestehe aus den unzähligen Attributen, oder Deus sive omnia eius attributa.719 Und dasselbe Verhältnis wiederholt sich[342] nachher zwischen den Attributen und den Modi. Jedes Attribut ist, weil es das unendliche Wesen Gottes in bestimmter Art ausdrückt, wieder in seiner Weise unendlich; aber es existiert nicht anders als mit und in seinen zahllosen Modifikationen. So existiert denn Gott nur in den Dingen als ihr allgemeines Wesen, und sie nur in ihm als die Modi seiner Realität. In diesem Sinne nimmt Spinoza von Nicolaus Cusanus und Giordano Bruno die Ausdrücke natura naturans und natura naturata auf. Gott ist die Natur: als das allgemeine Weltwesen ist er die natura naturans; als Inbegriff der Einzeldinge, in denen diese Essenz modifiziert existiert, ist er die natura naturata. Wenn dabei die natura naturans auch gelegentlich die wirkende Ursache der Dinge genannt wird, so darf diese schaffende Kraft nicht als etwas von ihren Wirkungen Verschiedenes gedacht werden: diese Ursache existiert nirgends als in ihren Wirkungen. Das ist Spinozas voller und rückhaltloser Pantheismus.

Es wiederholt sich endlich dies Verhältnis noch einmal in der Unterscheidung, welche Spinoza zwischen den unendlichen und den endlichen Modi aufstellt.720 Wenn jedes der zahllosen Endlichen ein Modus Gottes ist, so muß auch der unendliche Zusammenhang, der zwischen ihnen besteht und sie alle in ihrer Wesenheit bestimmt721, als ein Modus und zwar eben als ein unendlicher Modus gelten. Spinoza statuiert deren drei.722 Die Gottheit als das allgemeine Weltding erscheint in den Einzeldingen als endlichen Modi: ihnen entspricht als unendlicher Modus das Universum. Im Attribut der Räumlichkeit sind die endlichen Modi die einzelner, Raumgestalten, der unendliche Modus ist der unendliche Raum oder die Materie723 selbst in ihrer Bewegung und Ruhe. Für das Attribut des Bewußtseins steht neben den einzelnen Funktionen des Vorstellens und Wollens der »intellectus infinitus«.724 Hier erinnert Spinoza unmittelbar an den realistischen Pantheismus des David von Dinant und an den häretischen »Pampsychismus« der arabisch-jüdischen Philosophie (vgl. Oben § 27, 1 und 2). Seine Metaphysik ist in dieser Hinsicht das letzte Wort des mittelalterlichen Realismus.725

6. Mit diesen auf das Problem der qualitativen Differenz der Substanzen bezüglichen Motiven strebte die neuere Philosophie aus ihren dualistischen Voraussetzungen einem monistischen Ausgleich zu: damit aber verschlangen sich noch kräftigere Motive, die aus der realen und kausalen Trennung der räumlichen und der bewußten Welt erwuchsen. Zunächst freilich beförderten gerade die Prinzipien der Mechanik den Versuch, den Ablauf des Geschehens in jeder der beiden Sphären der endlichen Substanzen völlig gegen die andere zu isolieren.

Verhältnismäßig einfach gelang dies in der Körperwelt. Auf diesem Gebiete hatte durch Galilei die Kausal vorstellung eine völlig neue Bedeutung[343] gewonnen. Nach der scholastischen Auffassung (die mit axiomatischer Geltung auch noch in Descartes' Meditationen an entscheidender Stelle vorgetragen wurde) waren Ursachen Substanzen oder Dinge, Wirkungen dagegen entweder deren Tätigkeiten oder andere Substanzen und Dinge, die durch solche Tätigkeiten zustande kommen sollten: das war der platonisch-aristotelische Begriff der aitia. Galilei dagegen griff auf die Vorstellung der älteren griechischen Denker (vgl. § 5) zurück, welche das ursächliche Verhältnis nur auf die Zustände, das hieß jetzt die Bewegungen der Substanzen, nicht auf das Sein der letzteren selbst anwendeten. Ursachen sind Bewegungen und Wirkungen sind Bewegungen. Das Verhältnis von Stoß und Gegenstoß, der Uebergang der Bewegung von einem Korpuskel auf das andere726 ist die anschauliche, selbstverständliche, ursprüngliche und alle andern erklärende Grundform des Kausalverhältnisses. Und die Frage nach dem Wesen dieses Grundverhältnisses wurde durch das Prinzip der mathematischen Gleichheit gelöst, welches dann in dasjenige der metaphysischen Identität überging. So viel Bewegung wie in der Ursache ist, so viel ist auch in der Wirkung. Descartes formulierte dies als das Gesetz von der Erhaltung der Bewegung in der Natur. Die Summe der Bewegung in der Natur bleibt immer dieselbe: was ein Körper an Bewegung verliert, gibt er an einen andern ab. Hinsichtlich der Bewegungsgröße gibt es in der Natur nichts Neues, ins besondere keine Impulse aus der geistigen Welt.727 Selbst für das Reich der Organismen wurde dies Prinzip wenigstens als ein Postulat, wenn auch noch mit sehr schwachen Sachgründen durchgeführt. Auch die Tiere sind Maschinen, deren Bewegung durch den Mechanismus des Nervensystems hervorgerufen und bestimmt werden. Des näheren dachte sich Descartes (und mit ihm Hobbes und Spinoza) diesen Mechanismus als eine Bewegung feinster (gasförmiger) Stoffe, der sog. spiritus animales728, und den Uebergang aus dem sensiblen in das motorische Nervensystem suchte er beim Menschen in einem nicht paarig vertretenen Teile des Gehirns, der Zirbeldrüse (conarium glans pinealis).

Sehr viel schwieriger erwies sich der andere Teil der Aufgabe: das Verständnis des geistigen Lebens ohne jede Beziehung auf das körperliche. So leicht und anschaulich die Einwirkung eines Körpers auf andre Körper war, so wenig gab es eine wissenschaftlich brauchbare Vorstellung von einem körperlosen Zusammenhange zwischen verschiedenen Geistern. Das allgemeine metaphysische Postulat prägte z.B. Spinoza sehr energisch aus, wenn er im Eingange des dritten Buchs der Ethik versprach, er wolle die Handlungen und Begierden des Menschen so behandeln, als wenn von Linien, Flächen und Körpern die Rede wäre; denn es komme darauf an, sie weder zu begeifern noch zu verspotten, sondern zu begreifen. Allein die Lösung dieser Aufgabe beschränkte[344] sich von vornherein auf die Untersuchung des Kausalzusammenhanges zwischen den Bewußtseinstätigkeiten des einzelnen Geistes: der Dualismus verlangte eine von allen physiologischen Bestandteilen freie Psychologie. Um so charakteristischer ist es für die Vorherrschaft des naturwissenschaftlichen Geistes im 17. Jahrhundert, daß es zu dieser durch die Theorie verlangten Psychologie nur in beschränktestem Maße gekommen ist. Und selbst die Ansätze dazu sind von dem Bestreben beherrscht, das methodische Prinzip der Mechanik, das in der Theorie der äußeren Erfahrung seine Triumphe feierte, auch auf das Verständnis der inneren anzuwenden.

Ebenso nämlich wie die Naturforschung von Galilei bis Newton darauf ausging, die einfache Grundform der körperlichen Bewegung ausfindig zu machen, auf welche alle komplizierten Gebilde der äußeren Erfahrung sich zurückführen ließen, ebenso wollte auch Descartes die Grundformen der Seelenbewegung feststellen, aus denen sich die Mannigfaltigkeit der inneren Erfahrungen erklärte. Auf dem theoretischen Gebiete schien das durch die Feststellung der unmittelbar einleuchtenden Wahrheiten (der eingeborenen Ideen) erreicht, auf dem praktischen Felde erwuchs daraus die neue Aufgabe einer Statik und Mechanik der Gemütsbewegungen. In diesem Sinne lieferten Descartes und Spinoza ihre Naturgeschichte der Affekte und Leidenschaften729, letzterer, indem er den Gedanken des ersteren diejenigen von Hobbes beimischte. So leitet Descartes aus den sechs Grundformen der Verwunderung (admiratio), der Liebe und des Hasses, des Verlangens (désir), der Lust und der Unlust (laetitia – tristitia) das ganze Heer der »partikularen« Leidenschaften als Arten und Unterarten ab; so entwickelt Spinoza aus Begierde, Lust und Unlust (appetitus, laetitia, tristitia) das System der Gemütsbewegungen durch den Nachweis der Vorstellungsprozesse, mit denen sie sich von ihrem ursprünglichen Gegenstande, der Selbsterhaltung des Individuums, auf andere »Ideen« übertragen.

Eine eigentümliche Nebenstellung nehmen in dieser Hinsicht die beiden englischen Denker ein. Bacon und Hobbes liegt eine mechanistische Auffassung des Geistigen um so näher, je enger sie es in den Kreis des Physischen hineinzuziehen bestrebt sind. Beiden gilt nämlich das empirische Seelenleben, also auch die Sphäre des Bewußtseins, die bei Descartes garnichts mit der Körperwelt zu tun haben sollte, noch als etwas wesentlich dazu Gehöriges: dagegen wird der gesamten Wahrnehmungswelt mehr etwas Geistliches als etwas Geistiges gegenübergestellt. Vorstellungen und Willenstätigkeiten, wie sie durch Erfahrung bekannt sind, sollen im Grunde genommen auch Tätigkeiten des Leibes sein: und wenn außer diesen noch von einer unsterblichen Seele (spiraculum), Von einer geistigen Welt und von dem göttlichen Geiste die Rede ist, so soll das der Theologie anheimfallen. Die naturwissenschaftliche Theorie aber ist danach nicht viel anders denn als anthropologischer Materialismus zu bezeichnen; denn sie soll den ganzen Ablauf der empirischen Seelentätigkeiten als einen mechanischen Prozeß im Zusammenhange mit den leiblichen Funktionen begreifen. Diese Aufgabe stellte wiederum Bacon; Hobbes versuchte sie zu lösen und wurde damit zum Vater der sog. Assoziationspsychologie. Mit demselben ausgesprochenen Sensualismus wie Campanella, an[345] dessen Ausführungen die seinigen namentlich in Betreff des Vorstellungsmechanismus vielfach erinnern, sucht er zu zeigen, daß Sinnesempfindungen die einzigen Elemente des Bewußtseins abgeben und daß durch ihre Verknüpfung und Umbildung auch das Gedächtnis und das Denken zustande kommen. Analog werden dann auf dem praktischen Gebiete der Selbsterhaltungstrieb und die bei den Eindrücken entstehenden Gefühle von Lust und Unlust als die Elemente gekennzeichnet, aus denen alle übrigen Gefühle und Willenstätigkeiten entstehen. So entwarf auch Hobbes eine »Naturgeschichte« der Affekte und Leidenschaften, und diese ist nicht ohne Einfluß auf diejenige Spinozas gewesen, bei dem ebenfalls die Affektentheorie überall nach dem andern Attribut hinschielt.

Mit unerbittlicher Konsequenz aber folgte aus diesen methodischen Voraussetzungen für Hobbes und für Spinoza die Leugnung der Willensfreiheit im Sinne des Indeterminismus. Beide haben – und Spinoza tat es in der denkbar schroffsten Form – die strenge Notwendigkeit aufzuzeigen gesucht, die auch im Ablauf des Motivationsprozesses obwaltet: sie sind Typen des Determinismus. Für Spinoza gibt es daher eine Freiheit im psychologischen Sinne nicht. Freiheit kann nur einerseits metaphysisch das absolute durch nichts als durch sich selbst bestimmte Sein der Gottheit, anderseits ethisch das Ideal der Ueberwindung der Leidenschaften durch die Vernunft bedeuten.

7. Hierin zeigt sich nun schon, daß den Tatsachen der Psychologie gegenüber jene absolute Trennung der Körperwelt und der Geisterwelt, welche die Metaphysik verlangte, nicht aufrecht zu erhalten war. Ganz dasselbe aber erfuhr schon Descartes. Aus dem Wesen des Geistes selbst ließen sich zwar die klaren und deutlichen Vorstellungen und die daraus erwachsenden Formen des vernünftigen Willens erklären, nicht aber die dunkeln und verworrenen Vorstellungen und die damit zusammenhängenden Affekte und Leidenschaften. Diese stellen sich vielmehr als eine Störung730 des Geistes (perturbationes animi) dar, und da diese Störung, welche den Anlaß zum Mißbrauch der Freiheit gibt (vgl. oben § 30, 5), nicht von Gott herrühren kann, so muß ihr Ursprung schließlich doch in einer Einwirkung des Körpers gesucht werden. In den Gemütsstörungen liegt deshalb für Descartes eine unzweifelhafte Tatsache vor, die sich aus den metaphysischen Grundbestimmungen des Systems nicht erklären läßt. Hier sieht sich daher der Philosoph genötigt, ein exzeptionelles Verhältnis anzuerkennen, und er legt sich das so zurecht, wie es durch die Anthropologie der Victoriner (vgl. § 24, 2) vorgebildet war. Das Wesen (natura) des Menschen, lehrt er, besteht in der innigen Vereinigung zweier heterogener Substanzen, eines Geistes und eines Körpers, und diese wunderbare (d.h. metaphysisch unbegreifliche) Vereinigung hat Gott so gewollt, daß in diesem einzigen Falle die bewußte und die räumliche Substanz aufeinander einwirken. Die Tiere bleiben für Descartes Körper: ihre »Empfindungen«[346] sind nur Nervenbewegungen, aus denen nach dem Reflexmechanismus Erregungen des motorischen Systems entstehen. Im menschlichen Körper aber ist zugleich die geistige Substanz gegenwärtig, und infolge dieses Zusammenseins erregt der Sturm der Lebensgeister (esprits animaux) in der Zirbeldrüse auch bei der geistigen Substanz eine Störung, welche sich in dieser als unklare und undeutliche Vorstellung, d.h. als sinnliche Wahrnehmung, als Affekt oder als Leidenschaft darstellt.731

Bei den Schülern war der Systemtrieb größer als bei dem Meister. Sie fanden in diesem influxus physicus zwischen Geist und Leib den wunden Punkt der cartesianischen Philosophie, und sie bemühten sich, die Ausnahmen zu beseitigen, welche der Philosoph in den anthropologischen Tatsachen hatte statuieren müssen. Das aber ging nicht an, ohne daß die Auffassung der Kausalität eine neue und in gewissem Sinne rückläufige Veränderung erfuhr, indem das metaphysische Moment über das mechanische wiederum das Uebergewicht gewann. Die immanenten Kausalprozesse der räumlichen und der bewußten Welt galten als selbstverständlich: aber der transgrediente Kausalprozeß aus einer dieser Welten in die andere bildete ein Problem. Man fand keine Schwierigkeit sich vorzustellen, daß eine Bewegung sich in die andere Verwandle oder daß eine Funktion des Bewußtseins, z.B. ein Gedanke, in eine andere übergehe; aber es schien unbegreiflich, wie aus Bewegung Empfindung oder aus Wille Bewegung werden soll. Physische und logische Kausalität schienen keine Schwierigkeit zu bieten, desto größer die psychophysische Kausalität. Bei der letzteren wurde man sich bewußt, daß zwischen Ursache und Wirkung nicht das Verhältnis der Gleichheit oder Identität besteht, um dessen willen die mechanische und die logische Abhängigkeit verständlich erschien. Daher mußte hier nach dem Prinzip gefragt werden, durch welches die beiden nicht an sich zusammengehörenden Momente des Kausalverhältnisses, Ursache und Wirkung, mit einander verknüpft sind.732 Wo dies Prinzip zu suchen sei, konnte für die Schüler Descartes' nicht zweifelhaft sein. Gott, der die Vereinigung der beiden Substanzen in der Natur des Menschen geschaffen, hat sie auch so eingerichtet, daß auf die Funktionen der einen Substanz die entsprechenden der andern folgen. Deshalb aber sind diese Funktionell in ihren kausalen Verhältnisse zueinander nicht eigentlich und ihrer eigenen Natur nachwirkende Ursachen, sondern nur die Gelegenheiten, bei welchen die durch göttliche Veranstaltung bestimmten Folgen in der andern Substanz eintreten, – nicht causae efficientes, sondern causae occa-[347] sionales. Die wahre »Ursache« für den kausalen Zusammenhang von Reizen und Empfindungen und anderseits von Absichten und Gliederbewegungen ist Gott.

Solche Ueberlegungen breiten sich in der ganzen Entwicklung der cartesianischen Schule aus: Clauberg macht sie für die Theorie der Wahrnehmung, Cordemoy für diejenige der zweckmäßigen Bewegung geltend; zu voller Ausführung gelangen sie in Geulincx' Ethik. Doch ist in dieser nicht jeder Zweifel darüber ausgeschlossen, ob dabei die Ursächlichkeit Gottes als eine jeweilige einzelne Intervention oder ob sie als allgemeine und dauernde Einrichtung betrachtet wird. An einigen Stellen ist freilich das erstere der Fall733, aber der Gesamtgeist der Lehre geht zweifellos auf das letztere. Am klarsten spricht es Geulincx in dem Uhrengleichnis734 aus: wie zwei Uhren, die von demselben Künstler gleich gearbeitet sind, in stetig korrespondierendem Gang bleiben »absque ulla causalitate, qua alterum hoc in altero causat, sed propter meram dependentiam, qua utrumque ab eadem arte et simili industria constitum est«, so folgen nach der einmal von Gott bestimmten Weltordnung die korrespondierenden Funktionen des Geistes und des Körpers aufeinander.735

8. Diese anthropologische Begründung des Occasionalismus fügt sich aber von Anfang an einem allgemeineren metaphysischen Gedankengange ein. Schon in dem cartesianischen System lagen die Prämissen für die Folgerung, daß bei allem Geschehen in den endlichen, Substanzen das wirkende Prinzip nicht von diesen selbst, sondern von der Gottheit stamme. Das Denken und Erkennen der Geister beruht auf den eingeborenen Ideen, die er ihnen gegeben hat; der Körperwelt hat er ein Quantum von Bewegung mitgeteilt, welches nur in seiner Verteilung auf die einzelnen Korpuskeln wechselt, bei dem einzelnen Körper aber sozusagen nur zeitweilig geborgt ist: so wenig wie die Körper neue Bewegung, so wenig können die Geister neue Ideen erzeugen: die einzige Ursache ist Gott.

Die alleinige Kausalität Gottes hervorzuheben, hatten jedoch die Cartesianer um so mehr Anlaß, als ihre Lehre auf heftigen Widerspruch bei der Orthodoxie beider Konfessionen stieß und in die theologischen Streitigkeiten der Zeit hineingezogen wurde. Dabei hatten Freund und Feind die Verwandtschaft des Cartesianismus mit der Lehre Augustins736 schnell erkannt, und während deshalb die Jansenisten und die Väter des Oratoriums, die in dem augustinisch-scotistischen Gedankenkreise lebten, der neuen Philosophie freundlich waren, so befehdeten sie die orthodoxen Peripatetiker und hauptsächlich[348] die Jesuiten desto heftiger. So wurde in dem Streit um den Cartesianismus der alte Gegensatz von Augustinismus und Thomismus ausgetragen. Die Folge war die, daß die Cartesianer diejenigen Momente, worin ihre Lehre der augustinischen verwandt war, möglichst in den Vordergrund schoben. So versuchte Louis de la Forge737 die volle Identität des Cartesianismus mit der Lehre des Kirchenvaters zu beweisen, und hob dabei ganz besonders hervor, daß nach beiden Denkern der alleinige Grund alles Geschehens in den Körpern wie in den Geistern Gott sei. Gerade dies bezeichnete dann später Malebranche738 als das sichere Merkmal einer christlichen Philosophie, während der gefährlichste Irrtum der heidnischen Philosophie in der Annahme der metaphysischen Selbständigkeit und eigenen Wirkungsfähigkeit endlicher Dinge bestehe.

Ebenso büßen auch bei Geulincx: alle endlichen Dinge das kausale Moment der Substantialität ein. Er geht dabei von dem Prinzip aus739, daß man nur das selbst tun kann, wovon man weiß, wie es gemacht wird. Daraus folgt antltropologisch, daß der Geist nicht die Ursache der leiblichen Bewegungen sein kann – niemand weiß, wie er es anfängt, auch nur den Arm zu heben –, weiter aber kosmologisch, daß die Körper, die überhaupt keine Ideen haben, auch überhaupt nicht wirken können, endlich erkenntnistheoretisch, daß die Ursache der Wahrnehmungen nicht im endlichen Geiste – denn er weiß nicht, wie er dazu kommt – noch in den Körpern, also allein in Gott zu suchen ist. Dieser erzeugt damit in uns eine Vorstellungswelt, die in ihrer Qualitätenfülle viel reicher und schöner ist als die wirkliche Körperwelt selbst.740

Das erkenntnistheoretische Motiv findet endlich bei Malebranche741 eine noch tiefere Fassung. Der cartesianische Dualismus macht eine direkte Erkenntnis des Körpers durch den Geist überhaupt unmöglich; sie verbietet sich nicht nur, weil zwischen beiden kein influxus physicus möglich ist, sondern auch weil bei der totalen Heterogeneität beider Substanzen nicht abzusehen ist, wie in der einen auch nur eine Idee der andern denkbar sei Auch in dieser Hinsicht ist die Vermittlung nur durch die Gottheit möglich, und Malebranche nimmt seine Zuflucht zu der neuplatonischen Ideenwelt in Gott. Der Mensch erkennt nicht die Körper, sondern ihre Ideen in Gott. Diese intelligible Körperwelt in Gott ist einerseits das Urbild der von Gott geschaffenen wirklichen Körperwelt, anderseits dasjenige der voll Gott uns mitgeteilten Ideen von ihr. Unsere Erkenntnis gleicht den wirklichen Körpern so, wie zwei Größen, die einer dritten gleich sind, auch unter einander gleich sind. So verstand es Malebranche, daß die Philosophie lehre, alle Dinge in Gott zu schauen.

9. In ganz anderer Weise hat Spinoza die occasionalistischen Probleme gelöst. Die Erklärung irgend eines Modus des einen Attributs durch einen Modus des andern war durch seine Begriffsbestimmung des Attributs (s. oben[349] Nr. 5) ausgeschlossen: von ihr galt es742 wie von der Substanz: in se est et per se concipitur. Von einer Abhängigkeit des Räumlichen vom Bewußtsein oder umgekehrt konnte hiernach nicht die Rede sein; ihr Schein, der in den anthropologischen Tatsachen vorlag, bedurfte also einer andern Erklärung, und daß diese mit Hilfe des Gottesbegriffs zu suchen war, verstand sich von selbst. Wenn aber deshalb die Lehre, daß Gott die alleinige Ursache alles Geschehens sei. sich auch bei Spinoza findet, so ist doch seine Uebereinstimmung mit den Occasionalisten nur im Motiv und im Worte, aber nicht im Sinne der Lehre zu finden Denn nach Geulincx und Malebranche ist Gott der Schöpfer, nach Spinoza ist er das allgemeine Wesen der Dinge: nach jenen erzeugt Gott die Welt durch seinen Willen, nach diesem folgt notwendig aus dem Wesen Gottes die Welt. Das ursächliche Verhältnis also wird trotz der Gleichheit des Wortes causa sachlich hier ganz anders gedacht als dort. Bei Spinoza heißt es nicht: Gott erzeugt die Welt, sondern: er ist die Welt.

Seine Auffassung auch von der realen Dependenz, der Kausalität, drückt Spinoza stets durch das Wort »folgen« (sequi, consequi) und durch den Zusatz aus »wie aus der Definition des Dreiecks die Gleichheit seiner Winkel mit zwei Rechten folgt«. Deshalb wird die Abhängigkeit der Welt von Gott als mathematische Folge gedacht. Diese Auffassung des Kausalitätsverhältnisses743 hat somit das empirische Merkmal des »Erzeugens«, das gerade bei den Occasionalisten eine so wichtige Rolle spielte, total abgestreift und setzt an die Stelle der anschaulichen Vorstellung vom lebendigen Wirken die logisch-mathematische Beziehung von Grund und Folge. Der Spinozismus ist eine konsequente Gleichsetzung des Verhältnisses von Ursache und Wirkung mit demjenigen von Grund und Folge. Deshalb ist die Kausalität der Gottheit nicht zeitlich, sondern ewig, d.h. zeitlos, und die wahre Erkenntnis eine Betrachtung der Dinge sub quadam aeternitatis specie. Diese Auffassung des Dependenzverhältnisses ergab sich von selbst aus dem Begriffe der Gottheit als des allgemeinen Wesens: aus diesem folgen zeitlos alle seine Modifikationen, wie aus dem Wesen des Raumes alle Lehrsätze der Geometrie. Die geometrische Methode kennt keine andere Kausalität als die des »ewigen Folgens«: dem Rationalismus gilt nur die dem Denken selbst eigene Form der Dependenz, das logische Hervorgehen der Folge aus dem Grunde, als selbstverständlich und deshalb auch als das Schema des Geschehens744: auch die reale Dependenz soll weder mechanisch noch teleologisch, sondern nur logisch-mathematisch begriffen werden.

Wie nun aber in der Geometrie zwar alles aus dem Wesen des Raumes folgt, aber jedes besondere Verhältnis durch andere besondere Bestimmungen determiniert ist, so besteht auch in der spinozistischen Metaphysik das notwendige Hervorgehen der Dinge aus Gott darin, daß jedes einzelne Endliche durch anderes Endliches determiniert ist. Die Summe der endlichen Dinge und die Modi jedes Attributs bilden eine anfangs- und endlose Kette strenger Determination.[350] In allen waltet die Notwendigkeit des göttlichen Wesens; aber kein Modus steht der Gottheit näher oder ferner als der andere. Hierin macht sich der Gedanke des Nicolaus Cusanus von der Inkommensurabilität des Endlichen mit dem Unendlichen (vgl. § 27, 6) geltend. Keine emanatistische Stufenfolge führt von Gott zu der Welt herab: alles Endliche ist wieder durch Endliches bestimmt, aber in allen ist Gott der alleinige Grund ihres Wesens.

Ist dies der Fall, so muß die Einheit des Wesens auch in dem Verhältnis der Attribute zutage treten, mögen diese qualitativ und kausal noch so getrennt gehalten werden. Es ist doch dasselbe göttliche Wesen, das hier in der Form der Räumlichkeit und dort in der Form des Bewußtseins existiert. So sind denn notwendig beide Attribute derart aufeinander bezogen, daß jedem Modus des einen ein bestimmter Modus des andern entspricht. Diese Korrespondenz oder dieser Parallelismus der Attribute löst das Rätsel des Zusammenhangs der beiden Welten: Ideen sind nur durch Ideen und Bewegungen sind nur durch Bewegungen bestimmt; aber es ist der gleiche Weltinhalt des göttlichen Wesens, welcher den Zusammenhang der einen ebenso wie denjenigen der andern ausmacht; im Attribut des Bewußtseins ist dasselbe enthalten wie im Attribut der Räumlichkeit. Dies Verhältnis wird von Spinoza nach den auch von Descartes gebrauchten scholastischen Begriffen des esse in intellectu und des esse in re dargestellt. Was im Attribut des Bewußtseins als Gegenstand (objective), als Vorstellungsinhalt existiert, dasselbe existiert im Attribut der Räumlichkeit als etwas unabhängig vorn Vorstellen Wirkliches (formaliter).745

Spinozas Auffassung ist also diese: jedes endliche Ding als ein Modus des göttlichen Wesens, z.B. der Mensch, existiert gleichmäßig in beiden Attributen, als Geist und als Körper: und jede seiner einzelnen Funktionen ist ebenso gleichmäßig beiden Attributen angehörig, als Idee und als Bewegung. Als Idee ist sie durch den Zusammenhang der Ideen, als Bewegung durch denjenigen der Bewegungen bestimmt; aber in beiden enthält sie vermöge der Korrespondenz der Attribute dasselbe. Der menschliche Geist ist die Idee des menschlichen Körpers, im ganzen wie im einzelnen.746 Die menschliche Seele (mens) ist die Idee des menschlichen Körpers als ein Modus oder ein Komplex von Modi im göttlichen Attribut des Bewußtseins, und man darf bei Spinoza, genau gesprochen, nicht sagen, sie habe diese Idee; denn deren substantieller Träger ist nur Gott.747

10. Ihren Abschluß fand diese vielspätige Gedankenbewegung in dem metaphysischen System von Leibniz, demjenigen, welches in der ganzen Geschichte der Philosophie von keinem an Allseitigkeit der Motive und an ausgleichender Kombinationskraft erreicht wird. Es verdankt diese Bedeutung nicht nur der ausgebreiteten Gelehrsamkeit und dem harmonisierend abwägenden Geiste seines Urhebers, sondern hauptsächlich dem Umstande, daß dieser mit ebenso tiefem und feinem Verständnis in den Ideengängen der antiken und der[351] mittelalterlichen Philosophie wie in den Begriffsbildungen der modernen Naturforschung heimisch war.748 Nur der Erfinder der Differentialrechnung, der für Platon und Aristoteles ebensoviel Verständnis hatte wie für Descartes und Spinoza, der Thomas und Duns Scotus ebenso kannte und würdigte wie Bacon und Hobbes, – nur er konnte der Schöpfer der »prästabilierten Harmonie« werden.

Die Versöhnung der mechanischen und der teleologischen Weltanschauung und damit die Vereinbarung des wissenschaftlichen und des religiösen Interesses seiner Zeit ist das Leitmotiv des Leibnizschen Denkens. Er wünschte die mechanische Naturerklärung, deren begriffliche Ausgestaltung er selbst wesentlich förderte, in ganzer Ausdehnung durchgeführt zu sehen, und er sann dabei auf solche gedankliche Mittel, durch deren Hilfe trotzdem der zweckvoll lebendige Charakter des Weltalls begreiflich bliebe. Es mußte deshalb, wozu sich Andeutungen scholl bei Descartes fanden, der Versuch gemacht werden, ob nicht der ganze mechanische Ablauf der Weltbegebenheiten doch zuletzt auf wirkende Ursachen zurückzuführen sei, deren zweckvolles Wesen auch der Gesamtheit ihrer Wirkung eine inhaltvolle Bedeutung gewähre. Auch die großen englischen Naturforscher, wie Boyle und Newton, meinten das Universum nach Analogie der von menschlichen Techniker gebauten Maschinen, Uhren usw. als einen großen Mechanismus ansehen zu dürfen, der gerade durch seine zweckmäßigen Wirkungen seinen Hervorgang aus einer höchsten Intelligenz beweise. So wurde das sog. physikotheologische Argument für die Folgezeit der beliebteste Beweisgang für das Dasein Gottes.

Leibniz' ganze philosophische Entwicklung läuft darauf hinaus, diese Frage au einer tieferen Wurzel zu fassen, den Korpuskeln »Entelechien« unterzuschieben und dem indifferenten Gott der geometlischen Methode die Rechte der platonischen aitia wiederzugewinnen. Das letzte Ziel seiner Philosophie ist, den Mechanismus des Geschehens als das Mittel und die Erscheinungsform zu verstehen, wodurch der lebendige Inhalt der Welt sich verwirklicht. Deshalb konnte er die »Ursache« nicht mehr nur als »Sein«, konnte er Gott nicht mehr bloß als ens perfectissimum, konnte er die »Substanz« nicht mehr nur durch ein unveränderliches Seinsattribut charakterisiert, konnte er ihre Zustände nicht mehr bloß als Modifikationen, Determinationen oder Spezifikationen solcher Grundeigenschaft bestimmt denken: sondern das Geschehen wurde ihm wieder zum Wirken, die Substanzen nahmen die Bedeutung der Kräfte749 an, und auch der philosophische Gottesbegriff bekam zum wesentlichen Merkmal wieder die schöpferische Kraft. Das aber war Leibniz' Grundgedanke, daß sich diese schöpferische Kraft in der mechanischen Ordnung der Bewegungen betätige.

Diesen dynamischen Standpunkt gewann Leibniz zunächst in der Theorie der Bewegung und zwar in einer Weise, die von selbst zur Uebertragung auf die Metaphysik nötigte.750 Das mechanische Problem der Stetigkeit und die von Galilei begonnene Auflösung der Bewegung in die unendlich kleinen Impulse, welche für die in der Naturforschung maßgebenden Untersuchungen[352] von Huyghens und Newton den Ausgangspunkt bildeten, führten Leibniz auf das Prinzip des Infinitesimalkalküls, auf seinen Begriff der »lebendigen Kraft«, insbesondere aber auf die Einsicht, daß das Wesen des Körpers, worin der Grund der Bewegung zu suchen sei, nicht in der Ausdehnung und auch nicht in der Masse (Undurchdringlichkeit), sondern in der Fähigkeit zu wirken, in der Kraft bestehe. Ist aber die Substanz Kraft, so ist sie überräumlich und immateriell. Deshalb sieht sich Leibniz genötigt, auch die körperliche Substanz als immaterielle Kraft zu denken. Der Körper ist seinem Wesen nach Kraft; seine Raumgestalt, seine Raumerfüllung und seine Bewegung sind erst Wirkungen dieser Kraft. Die Substanz des Körpers ist metaphysisch.751 Im Zusammenhange mit Leibniz' Erkenntnislehre lautet dies so, daß die rationale, klare und deutliche Erkenntnis der Körper als Kraft, die sinnliche, dunkle und verworrene dagegen ihn als räumliches Gebilde auffaßt. Daher ist der Raum für Leibniz weder mit dem Körper identisch (wie bei Descartes), noch dessen Voraussetzung (wie bei Newton), sondern ein Kraftprodukt der Substanzen, ein phaenomenon bene fundatum, eine Ordnung ihrer Koexistenz, – keine absolute Wirklichkeit, sondern ein ens mentale.752 Und dasselbe gilt mutatis mutandis von der Zeit. Daraus folgt dann aber weiter, daß die auf diese räumliche Erscheinungsweise der Körper bezüglichen Gesetze der Mechanik nicht rational, keine »geometrischen«, sondern tatsächliche und zufällige Wahrheiten sind. Sie könnten anders gedacht werden. Ihr Grund ist nicht logische Notwendigkeit, sondern – Zweckmäßigkeit. Sie sind lois de conrenance: und sie wurzeln in dem choix de la sagesse.753 Gott hat sie gewählt, weil in der durch sie bestimmten Form der Weltzweck am besten erfüllt wurde. Sind die Körper Maschinen, so sind sie es in dem Sinne, daß dies zwechmäßig konstruierte Gebilde sind.754

11. So wird bei Leibniz wieder, aber in reiferer Form als beim Neuplatollismus, das Leben zum Erklärungsprinzip für die Natur; seine Lehre ist Vitalismus. Aber Leben ist Mannigfaltigkeit und dabei doch wieder Einheit. Die mechanische Theorie führte Leibniz ebenso auf den Begriff unendlich vieler Einzelkräfte, metaphysischer Punkte755, wie auf die Idee ihres kontinuierlichen Zusammenhanges. Der demokritischen Atomtheorie, der nominalistischen Metaphysik hatte er ursprünglich nahe gestanden; die occasionalistische Bewegung und vor allem das System Spinozas machten ihm den Gedanken der All-Einheit vertraut: und die Lösung fand er wie Nicolaus Cusanus und Giordano Bruno in dem Prinzip der Identität des Teils mit dem Ganzen. Jede Kraft ist die Weltkraft, aber in eigener Weise; jede Substanz ist die Weltsubstanz, aber in besonderer Form. Darum bestimmt Leibniz den Begriff der Substanz auch gerade dahin, sie sei Einheit in der Vielheit.756 Das bedeutet, daß jede Substanz in jedem Zustande die Fülle der übrigen »vorstellt«, und zum Wesen der »Vorstellung« gehört immer die Vereinheitlichung einer Mannigfaltigkeit.757[353]

Mit diesen Gedanken verbinden sich nun bei Leibniz die der metaphysischen Bewegung seit Descartes geläufigen Postulate: die Isolierung der Substanzen gegeneinander und die in dem gemeinsamen Weltgrunde entspringende Korrespondenz ihrer Funktionen. Beide Denkmotive sind in der Monadologie am vollkommensten zum Austrag gekommen. Leibniz nennt die Kraftsubstanz Monade, – ein Ausdruck, der ihm auf verschiedenen Wegen der Tradition in der Renaissance zufließen mochte. Jede Monade ist den andern gegenüber ein vollkommen selbständiges Wesen, welches Einflüsse weder erfahren noch ausüben kann. Die Monaden »haben keine Fenster«, und diese Fensterlosigkeit ist gewissermaßen der Ausdruck ihrer »metaphysischen Undurchdringlichkeit«758. Dieser Abgeschlossenheit nach außen gibt aber Leibniz zuerst den positiven Ausdruck, daß er die Monade für ein rein inneres Prinzip erklärt.759 Die Substanz ist daher eine Kraft von immanenter Wirksamkeit: die Monade ist nicht physischer, sondern seelischer Natur. Ihre Zustände sind Vorstellungen, und das Prinzip ihrer Tätigkeit ist das Begehren (appétition), die »Tendenz«, von einer Vorstellung in die andere überzugehen.760

Jede Monade ist jedoch anderseits ein »Spiegel der Welt«, sie enthält das ganze Universum als Vorstellung in sich; darin besteht die Lebenseinheit aller Dinge. Jede aber ist auch ein Individuum, von allen andern unterschieden. Denn es gibt nicht zwei gleiche Substanzen in der Welt.761 Wenn sich nun die Monaden nicht durch den Vorstellungsinhalt unterscheiden, der vielmehr bei allen derselbe ist, so kann ihre Verschiedenheit nur in der Vorstellungsart zu suchen sein, und Leibniz erklärt: der Unterschied der Monaden besteht nur in dem verschiedenen Grade von Klarheit und Deutlichkeit, mit der sie das Universum »repräsentieren«. So wird Descartes' erkenntnistheoretisches Kriterium zum metaphysischen Prädikat, und zwar dadurch, daß Leibniz, ähnlich wie Duns Scotus (vgl. § 26, 1), den Gegensatz des Distinkten und des Konfusen als einen solchen der Vorstellungskraft oder der Intensität auffaßt. Daher gilt die Monade als aktiv, sofern sie klar und deutlich, als passiv, sofern sie dunkel und verworren vorstellt762: daher ist auch ihr Trieb auf den Uebergang von den dunklen zu den klaren Vorstellungen gerichtet und die »Aufklärung« ihres eigenen Inhalts ihr Lebensziel. Auf jene Intensität der Vorstellungen aber wendet Leibniz das mechanische Prinzip der unendlich kleinen Impulse an: er nennt diese unendlich kleinen Bestandteile des Vorstellungslebens der Monaden petites perceptions763 und bedarf dieser Hypothese zur Erklärung dafür, daß nach seiner Lehre die Monade offenbar sehr[354] viel mehr Vorstellungen hat, als sie sich deren bewußt ist (vgl. unten 3 33, 10). Nach heutigem Ausdruck würden die petites perceptions unbewußte Vorstellungen sein.

Solcher Verschiedenheiten gibt es aber unendlich viele, und die Monaden bilden nach dem Gesetz der Kontinnität – natura non facit saltum – eine ununterbrochene Stufenreihe, ein großes Entwicklungssystem, das von den »einfachen« Monaden zu den Seelen und den Geistern aufsteigt.764 Die niedersten Monaden, welche nur dunkel und verworren, d.h. unbewußt vorstellen, sich also nur leidend verhalten, bilden die Materie: die höchste Monade, welche das Universum mit vollkommener Klarheit und Deutlichkeit vorstellt – eben deshalb nur Eine – und somit reine Aktivität ist, heißt die Zentralmonade – Gott. Indem aber jede dieser Monaden sich selbst auslebt, stimmen sie vermöge der Gleichheit ihres Inhalts in jedem Momente alle völlig mit einander überein765, und dadurch entsteht der Schein der Wirkung einer Substanz auf die andere. Dies Verhältnis ist die harmonie préétablie des substances – eine Lehre, worin das von Geulincx und Spinoza für die Beziehung der beiden Attribute eingeführte Prinzip der Korrespondenz auf das Verhältnis aller Substanzen untereinander ausgedehnt erscheint. Hier wie dort aber bedingt dies Prinzip in seiner Ausführung die lückenlose Determination in der Tätigkeit aller Substanzen, die strenge Notwendigkeit alles Geschehens und den Ausschluß allen Zufalls und aller Freiheit im Sinne der Ursachlosigkeit. Auch Leibniz rettete den Begriff der Freiheit für die endlichen Substanzen nur in der sittlichen Bedeutung einer Herrschaft der Vernunft über die Sinne und die Leidenschaften.766

Die prästabilierte Harmonie, diese Seins- und Lebensverwandtschaft der Substanzen767, bedarf aber eines einheitlichen Erklärungsgrundes, und dieser kann nur in der Zentralmonade gesucht werden. Gott, der die endlichen Substanzen schuf, hat einer jeden seinen eigenen Inhalt in besonderer Abstufung der Intensität des Vorstellens mitgegeben und damit sämtliche Monaden so eingerichtet, daß sie durchweg miteinander übereinstimmen. Und in dieser ihrer notwendigen Lebensentfaltung, mit der ganzen mechanischen Determination ihrer Vorstellungsabfolge verwirklichen sie den Zweck des schöpferischen Allgeistes. Dies Verhältnis des Mechanismus zur Teleologie fügt sich endlich auch den erkenntnistheoretischen Prinzipien von Leibniz ein. Die Gottheit und die andern Monaden verhalten sich, wie bei Descartes die unendliche und die endlichen Substanzen. Für die rationalistische Auffassung aber ist nur das Unendliche ein Denknotwendiges, das Endliche dagegen etwas »Zufälliges« in dem Sinne, daß es auch anders gedacht werden könnte, daß das Gegenteil keinen Widerspruch enthielte (vgl. oben § 30, 7). So nimmt der Gegensatz der ewigen und der tatsächlichen Wahrheiten metaphysische Bedeutung an: nur Gottes Sein ist eine ewige Wahrheit; er existiert nach dem Satz vom Widerspruch[355] mit logischer oder absoluter Notwendigkeit. Die endlichen Dinge aber sind zufällig, sie existieren nur nach dem Prinzip des zureichenden Grundes vermöge ihrer Determination durch anderes; die Welt und alles, was zu ihr gehört, hat nur bedingte, hypothetische Notwendigkeit. Diese Kontingenz der Welt führt Leibniz mit Duns Scotus768 auf den Willen Gottes zurück. Die Welt könnte anders sein; daß sie so ist, wie sie ist, verdankt sie der Auswahl, die Gott zwischen den vielen Möglichkeiten getroffen hat.769

So laufen in Leibniz alle Fäden der alten und der neuen Metaphysik zusammen. Mit den in der Schule der Mechanik gebildeten Begriffen gestaltete er die Ahnungen der Philosophie der Renaissance zu einem systematischen Gedankenbau um, in welchem die Ideen des Griechentums ihre Heimstätte mitten zwischen den Erkenntnissen der modernen Forschung fanden.

Quelle:
Wilhelm Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Tübingen 61912, S. 334-356.
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