Mittenwaldbahn

[299] Mittenwaldbahn (vgl. Abb. 313). Diese im Staatsbetrieb befindliche, vollspurige Nebenbahn besteht aus 2 Teilstrecken: Innsbruck Westbahnhof-Scharnitz, 33∙2 km lang (auch Karwendelbahn genannt), und Reutte-Landesgrenze-Griesen, 30∙5 km lang (Außenfernerbahn). Diese beiden in Österreich liegenden Linien sind durch die über Garmisch-Partenkirchen führende bayerische Staatsbahn verbunden. Die ganze Strecke Innsbruck-Garmisch-Partenkirchen-Reutte wird insofern einheitlich betrieben, als sie für elektrischen Betrieb eingerichtet ist; vorläufig wird die elektrische Kraft aus einem der M. gehörigen Elektrizitätswerk an der Ruetz, 12 km südlich von Innsbruck, bezogen.

Durch die M., die ihr Zustandekommen der Tätigkeit des Ingenieurs Riehl in Innsbruck verdankt, ist die Verbindung der im allgemeinen Eisenbahnverkehr einbezogenen Orte Innsbruck-Garmisch-Partenkirchen-Reutte untereinander hergestellt, wodurch München mit Innsbruck eine zweite Verbindung bekommen hat und Augsburg bzw. das westliche Deutschland von Innsbruck ohne den Umweg über München erreicht werden kann.

Die Bahn ist eingleisig mit Ausweichstellen. Als größte Steigung wurden 36∙4 in ausgedehntem Maße verwendet. Der kleinste vorkommende Bogenhalbmesser beträgt 200 m.

Der Oberbau hat eine Tragfähigkeit von 14 t Achsdruck, die Brücken und Durchlässe sind für einen Achsdruck von 16 t gebaut.

Die. Teilstrecke Innsbruck (Wilten)-Scharnitz erklimmt den Zirlerberg (1185 m) mit einem Höhenunterschied von rd. 600 m. Die Entfernung dieses Punktes vom Ausgangspunkt beträgt 21∙2 km, daher die mittlere Steigung 27∙3‰.

Die M. kann sich demnach, was die an die Lokomotiven zu stellenden Anforderungen betrifft, mit der Arlbergbahn (s.d.) messen, denn diese überwindet auf ihrer westlichen, steileren Rampe zwischen Tunnelscheitel und Bludenz auf einer Länge von 32∙2 km einen Höhenunterschied von 752 m; die mittlere Steigung beträgt daher nur 23∙3‰.


In diesem ersten, gleichzeitig auch schwierigsten Streckenteil befinden sich fast alle großen Kunstbauten, darunter eine Innbrücke mit 2 Öffnungen zu je 45 m und 2 zu je 4 m 1. W., ein 340 m langer Viadukt mit 38 gewölbten Öffnungen zu je 6 m und 2 Eisenkonstruktionen, der 36 m hohe Vorbergviadukt mit 3 Öffnungen zu 22 m und das bedeutende Objekt, die Schloßbachbrücke, die in etwa 60 m über der Talsohle mit eisernen Bogenträgern von 56 m Stützweite die Schlucht überspannt. Ferner war die Einschaltung von 16 Tunneln mit insgesamt 4408 m Länge,[299] d.i. 13∙3% der Baulänge dieser Teilstrecke, erforderlich, darunter der 1809 m lange »Martinswand-Tunnel«, der wegen der Unzugänglichkeit der Stollenmundlöcher und wiederholter Wassereinbrüche manche Bauschwierigkeit bot.


Bei Dampfbetrieb wäre man gezwungen gewesen, eine zumindest um etwa 3 km längere Linie zu wählen, was Mehrkosten, von etwa 3 Mill. K verursacht hätte.

In der westlichen Strecke wechseln Steigung und Gefälle mehrfach und findet die größte Steigung von 36∙5 in geringem Maße Anwendung.

Die Anlageverhältnisse sind einfacher, es kommt nur ein Tunnel mit 500 m Länge vor, außerdem ein überwölbter Einschnitt von 200 m Länge. Zu erwähnen ist die Loisachbrücke, ein Betonbauwerk mit 4 Öffnungen von 15 bzw. 10 m Weite.

Die beiden Linien der M. stehen an mehreren Stellen mit dem Eisenbahnnetz in Österreich und Bayern in unmittelbarer Gleisverbindung. Dementsprechend findet ein Durchgangsverkehr für Personen und Güter statt.

Die M. wird mit einfachem Wechselstrom von 15.000 Volt Spannung und 15 Perioden betrieben. Die Fahrleitung wird von 2 Unterwerken mit je 2400 K. V. A. Größtleistung gespeist. Diesen wird der Strom mit 50.000 Volt Spannung vom Kraftwerk zugeführt. Alle Leitungen liegen auf Eisengestänge mit bruchsicheren Hänge-Isolatoren.

Im Kraftwerk stehen 2 Stück 4000 PS. max. Peltonturbinen, die mit 6 poligen Generatoren unmittelbar gekuppelt sind.

Für den Betrieb der Teilstrecke Innsbruck-Garmisch-Partenkirchen, für die die M. bzw. die österreichischen Staatsbahnen die Zugförderung besorgen, sind 9 Stück elektrische Lokomotiven von 800 PS.-Leistung vorhanden. Diese ziehen 124 t in der Höchststeigung mit einer Geschwindigkeit von rd. 30 km/Std. Die Lokomotiven haben 42 t Trieb- und 53 t Gesamtgewicht. Der Motor treibt mittels Parallelkurbelgetriebes die Achsen an.

Die Baukosten für die beiden Teilstrecken einschließlich des Elektrizitätswerks betragen rd. 27 Mill. K; der Staat, das Land Tirol, die Stadt Innsbruck und sonstige Interessenten haben 12∙1 Mill. K in Form von Stammaktien beigetragen.

Die Strecke Innsbruck-Scharnitz ist im November 1912, die Strecke Reutte-Grießen im Mai 1913 dem öffentlichen Verkehr übergeben worden.

Literatur: N. Lechner, Die Karwendelbahn. – Dr. E. Seefehlner, Die Mittenwaldbahn. El. Kraftbetriebe und Bahnen 1913, H. 6 u. 7. – W. Winternitz, Die Mittenwaldbahn in Tirol. Allg. Bauztg. Wien 1913.

Seefehlner.

Abb. 313.
Abb. 313.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 299-300.
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