Notstandstarife

[376] Notstandstarife, s. Ausnahmetarife, die zur Linderung oder Behebung eines Notstandes Frachtermäßigungen gegenüber den geltenden Tarifen gewähren. Zu den allgemeinen Voraussetzungen eines jeden Tarifes, die auch für die N. gelten, kommt hier noch das Vorhandensein eines Notstandes hinzu. Er wird überall da anerkannt werden, wo ein größerer Kreis von Personen unverschuldet, möglicherweise durch höhere Gewalt in eine Notlage geraten ist, die er aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln nicht abschwächen oder beseitigen kann (Mißernte, Überschwemmungen, Feuersbrunst u.s.w.). Der Notstand muß ein allgemeiner sein, wenn er die Unterstützung einer der Allgemeinheit dienenden Anstalt in Anspruch nehmen will. Diese Unterstützung in Gestalt von Frachtermäßigungen wird aber nur so lange zu gewähren sein, bis die Schäden des Notstandes überwunden sind. Daher bildet die Befristung der N. die Regel. Die deutsche Reichsverfassung bestimmt in ihrem Artikel 46, daß bei eintretenden Notständen, insbesondere bei ungewöhnlicher Teuerung der Lebensmittel die Eisenbahnverwaltungen verpflichtet sind, für den Transport, namentlich von Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln, zeitweise einen dem Bedürfnis entsprechenden, von dem Kaiser auf Vorschlag des entsprechenden Bundesratsausschusses festzustellenden niedrigen Spezialtarif einzuführen, der jedoch nicht unter den niedrigsten auf der betreffenden Bahn für Rohprodukt geltenden Satz herabgehen darf. Die Aufsicht über die Befolgung dieser Bestimmung steht in Deutschland dem Reichseisenbahnamt zu.


Der Mißwachs im Jahre 1911 veranlaßte u.a. einen N. für Kartoffeln im deutschen Verkehr (für Wagenladungen von 10 und 5 t die um 50% ermäßigten Sätze des Rohstoff-, bzw. Spezialtarifs, II).

Anläßlich des Krieges 1914 wurden längstens für dessen Dauer zahlreiche N. im deutschen Verkehr eingeführt. Sie erstrecken sich im wesentlichen auf Lebens-, Futter- und Düngemittel sowie auf verschiedene Rohstoffe. Die Güter sind entweder in eine niedrigere Tarifklasse versetzt, oder es ist der Weg der prozentualen Ermäßigung gewählt.


In Österreich ist den Privateisenbahnen meist durch die Konzession die Verpflichtung auferlegt, N. einzuführen. Sie gestehen aber vielfach N. auch unabhängig von einer Verpflichtung zu.

Grunow.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 376.
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