Anlage

[55] Anlage. (Schöne Künste)

Die Darstellung der wesentlichsten Theile eines Werks, wodurch es im ganzen bestimmt wird. Jedes größere Werk der Kunst erfodert eine dreyfache Arbeit. Die Anlage, von welcher hier die [55] Rede ist, die Ausführung, und die Ausarbeitung, von denen besonders wird gehandelt werden.

In der Anlage wird der Plan des Werks, mit den Haupttheilen desselben bestimmt, die Ausführung giebt jedem Haupttheil seine Gestalt, und die Ausarbeitung bearbeitet die kleinern Verbindungen, und füget die kleinesten Theile völlig, jeden in seinem rechten Verhältniß, und bester Form zusammen. Wenn die Anlage vollendet ist, so muß nichts wesentliches mehr in das Werk hinein kommen können. Sie enthält schon alles wichtige der Gedanken, und erfodert deswegen das meiste Genie. Darum bekommt ein Werk seinen größten Werth von der Anlage. Sie bildet die Seele desselben, und sezt alles feste, was zu seinem innerlichen Charakter, und zu der Würkung, die es thun soll, gehöret. Deßwegen können auch grobe oder schlecht bearbeitete Werke, der guten Anlage halber sehr schäzbar seyn. So waren nach dem Zeugniß des Pausanias die Werke des Dädalus; sie fielen etwas unförmlich in das Auge, doch entdekte man in allen etwas großes und erhabenes.1

Es ist jedem Künstler zu rathen, nicht nur die größte Anstrengung des Geistes auf die Anlage, als den wichtigsten Theil zu wenden, sondern auch nicht eher an die andern Theile der Arbeit zu gehen, bis dieser glüklich und zu seiner eignen Befriedigung zu Stande gebracht ist. Schweerlich wird ein Werk zu einer über das mittelmäßige steigenden Vollkommenheit kommen, wenn die Anlage nicht vor der Ausführung vollkommen gewesen. Die Unvollkommenheit der Anlage benimmt dem Künstler das Feuer und so gar den Muth zur Ausführung. Einzele Schönheiten sind nicht vermögend die Fehler der Anlage zu bedeken. Besser ist es allemal ein Werk von unvollkommener Anlage ganz zu verwerfen, als durch mühsame Ausführung und Ausarbeitung, etwas unvollkommenes zu machen. Es scheinet eine der wichtigsten Regeln der Kunst zu seyn, sich nicht eher an die Bearbeitung eines Werks zu machen, bis man mit der Anlage desselben vollkommen zu frieden ist. Denn diese Zufriedenheit giebt Kräfte zur Ausführung. S. Anordnung.

1Δαιδαλος ὁποσα εἰργασατο, ἀτοπωτερα μεν ἐςιν ἐς την ὀψιν, ἐπιτρεπει δε ὁμως ηαὶ ίνϑεον τοτοις. Pausan. Corinth.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 55-56.
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