Jambus

[553] Jambus. (Dichtkunst)

Ist ein zweysylbiger Fuß, dessen erste Sylbe kurz, die andre lang ist, wie in den Wörtern gesagt, gethan. Verse die aus solchen Füßen bestehen, werden jambische Verse genennt, und diesen Namen behalten sie, wenn gleich in einigen Versen etwa ein Fuß anders ist. Die deutsche Sprache besitzt einen großen Reichthum an zweysylbigen Wörtern, die reine Jamben sind; zu gleich hat sie viel Wörter, die sich mit kurzen Sylben endigen, und viel die mit langen anfangen. Daher kommt es, daß die jambischen und trochäischen Versarten die gewöhnlichsten in der deutschen Dichtkunst sind.

Man sollte denken, daß ein Gedicht, in dem man fast durchgehends nichts, als Jamben höret, ungemein monotonisch seyn müßte: gleichwol haben wir lange Gedichte in dieser Versart, in denen der Ton oder Fall des Verses nicht langweilig wird. Man hat verschiedene Mittel solchen Versen das motonische zu benehmen. Man kann ihnen eine Verschiedenheit der Länge, oder der Anzahl von Füßen geben, wie in folgender Strophe.


So jemand spricht; ich liebe Gott,

Und haßt doch seine Brüder;

Der treibt mit Gottes Wahrheit Spott

Und reißt sie ganz darnieder.

Gott ist die Lieb' und will daß ich

Den Nächsten Liebe gleich als mich.


Die vier ersten Verse sind wechselsweise, vier und dreyfüßig, und dem Dreyfüßigen ist eine kurze Sylbe am End angehängt; auf diese vier Verse folgen wieder zwey gleiche Vierfüßige. Wenn man nun bedenkt, daß der jambische Vers eine Länge von einem bis auf sechs Füße haben, und daß er entweder ganz aus Jamben bestehen, oder am Ende eine angesetzte kurze Sylbe haben könne; so begreift man leicht, daß eine große Mannigfaltigkeit von jambischen Versarten für die lyrische Dichtkunst könne erdacht werden. Für epische und dramatische Gedichte hält es schon schweerer blos jambische Verse zu brauchen ohne langweilig zu werden. Die Monotonie unsers alexandrinischen Verses hat unsre neuen Dichter vermocht zum epischen Gedicht den Hexameter zu brauchen. Für das Drama hat man einen fünffüßigen jambischen Vers versucht, dem man so wol die Fesseln des Reims, als den Abschnitt benommen hat. Dadurch nähert sich das Sylbenmaaß der ungebundenen Sprach; aber es verliert zugleich auch den abgemessenen Abfall fast gänzlich, wo der Dichter nicht außerordentliche Sorgfalt anwendet, schön periodisch zu schreiben. Ein Dichter, der sich einbildete durch den freyen fünffüßigen jambischen Vers die Arbeit des melodischen Ausdruks zu erleichtern, wird sich gewiß betrogen finden. Inzwischen ist nicht zu leugnen, daß der freye jambische Vers sich zum dramatischen Gedicht vorzüglich schike. Wir sehen, daß er fast jeden Ton annehmen, bald ernsthaft und feyerlich, bald leicht und zärtlich einhergehen kann. Darum haben auch die Alten ihre dramatischen Stüke fast durchgehends in Jamben geschrieben.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 553.
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