Nebensachen

[814] Nebensachen. (Schöne Künste)

Sind Sachen, die in Werken der Kunst der Hauptsache, wodurch die abgeziehlte Vorstellung würklich erwekt wird, noch beygefügt werden. In einem historischen Gemählde sind die handelnden Personen die Hauptsache; sie allein, ohne irgend etwas hinzugefügtes, erweken die Vorstellung der Handlung, die der Zwek des Mahlers war. Was zur Scene gehört, ist Nebensache. Im Drama sind die Personen, ohne welche die Handlung nicht vollständig könnte verrichtet werden; ihre Charaktere, Anschläge und Unternehmungen, wodurch der Ausgang der Sache seine Bestimmung bekommt, die Hauptsachen. Der Ort, wo die Handlung geschieht, die Personen, die in der Natur der Handlung, in den Verwiklungen, Auflösungen und im Ausgang derselben nichts ändern, sind Nebensachen.

[814] Es ist eine Hauptregel, die man jedem Künstler vorschreibet, und deren Gründlichkeit in die Augen fällt, daß sie durch Nebensachen die Würkung der Hauptsachen nicht schwächen sollen. Dieses geschieht aber allemal, wenn die Nebensachen hervorstechend, oder durch irgend etwas so merkwürdig sind, daß sie die Aufmerksamkeit von der Hauptsach abziehen. So wie eine schöne Person sich schadet, wenn sie in einem Puz erscheinet, der das Aug vorzüglich anloket, daß die Lust, die ihr wesentliche Schönheit zu betrachten, geschwächt wird; so geht es auch mit den Werken der Kunst. Es giebt Portraitmahler, die gewisse Nebensachen in der Kleidung, oder dem was zum Puz gehöret, mit so großem Fleiß bearbeiten, oder so hervorstechend anbringen, daß die Aufmerksamkeit vorzüglich darauf gerichtet, und der Hauptsache, dem Gesicht und der Stellung der Person entzogen wird.

Der Künstler thut überhaupt, in welcher Art er arbeitet, sehr wohl, wenn er sich gar aller Nebensachen, außer denen, wodurch die Hauptsachen vortheilhafter erscheinen, völlig enthält. Denn dadurch erreicht er die wahre Einfalt der Natur, die nichts überflüßiges in ihre Werke bringt. Gerade so viel, als genug ist; sollte die Maxime jedes Künstlers bey Erfindung und Bearbeitung seines Stoffs seyn. Der Dichter, der zu einer Vorstellung gerade so viel Begriffe zusammengestellt hat, als zu Erreichung des Zweks nöthig waren, soll nichts mehr zur Zierrath einfliken. Der dramatische Dichter, der die zur Handlung nothwendigen Personen zusammengebracht hat, soll nie auf mehrere denken, um die Schaubühne anzufüllen, vielweniger um Zwischenscenen anzubringen.

Bisweilen scheinet es zwar, daß die Nebensachen nothwendig seyen, um den Hauptsachen mehr Zusammenhang, oder mehr Klarheit zu geben: vielleicht aber kommt es blos daher, daß der Künstler es in der Anlage der Hauptsachen versehen hat. Der Mahler, der die Anordnung seines Gemähldes nicht mit genugsamer Ueberlegung gemacht hat, kann freylich ofte finden, daß es eine Gruppe von Nebensachen nöthig hat, um zwey Hauptgruppen gehörig zu verbinden; aber ein reiferes Nachdenken über seine Anordnung hätte ihm vielleicht eine solche finden lassen, die ihn dieser Nebensach überhoben hätte.

So findet man ofte in dramatischen Stüken, daß dem Dichter bey seinem Plan und bey seiner Anordnung Nebenpersonen nöthig gewesen, die dem Zuschauer gewisse Sachen aufklären, ohne welche die Handlung nicht so verständlich wäre. Aber vielleicht ist diese Nothwendigkeit eben aus Mangel einer schiklichen Anordnung entstanden.

Wie dem aber sey, so muß der Künstler sorgfältig darauf bedacht seyn, die ihm nöthigen Nebensachen so zu stellen und zu bearbeiten, daß sie nicht mehr würken, als sie würken sollen. Plutarchus bemerkt, und wir können es in manchen Werk der Alten noch sehen, daß gute Mahler und Bildhauer die ihnen nothwendigen Nebensachen allemal mit überlegter Nachläßigkeit bearbeitet haben, damit sie das Aug nicht zu sehr anlokten. Sicherer aber ist es, wenn man sie ganz zu vermeiden weiß.

Am unerträglichsten sind die Nebensachen, die zur Hauptsache gar nichts beytragen, oder blos da sind, um das Magere, das in der Hauptsach auffällt, durch irgend etwas zu ersezen. So siehet man in so vielen Comödien Bediente oder andere Nebenpersonen, und so manche von ihnen gespiehlte Zwischenscenen, die man ohne irgend eine Veränderung in der Hauptsache zu machen, wegreißen könnte. Der Dichter fühlte sein Unvermögen durch die Hauptsache hinlänglich zu intereßiren, und warf solche Nebensachen hinein, um unterhaltender zu werden.

In dem Schauspiehl selbst, kommen in der Kleidung der Personen und in der Verziehrung der Schaubühne viele Nebensachen vor. Auch da ist es höchst nöthig, sie nicht glänzend oder hervorstechend zu machen, damit nicht etwas von den Hauptsachen verdunkelt werde.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 814-815.
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