Operetten. Comische Opern

[851] Operetten. Comische Opern.

Wie die eigentliche Oper, davon der vorhergehende Artikel handelt, aus Vereinigung des Trauerspiehls mit der Musik entstanden, so hat die Musik mit der Comödie vereiniget, die Operette hervorgebracht, die erst vor vierzig oder funfzig Jahren aufgekommen ist, aber seit kurzem sich der deutschen comischen Schaubühne so bemächtiget hat, daß sie die eigentliche Comödie davon zu verdrängen droht. Anfänglich war sie ein bloßes Possenspiehl zum Lachen, wozu die Deutschen von dem italiänischen Intermezzo, und der Opera buffa, den Einfall geborgt haben. Dabey waren Dichter und Tonsezer allein bemüht recht poßirlich zu seyn. Man muß gestehen, daß die Musik, ob es gleich scheinet, daß sie ihrer Natur nach nur zum fröhlichen oder herzrührenden Ausdruk diene, überaus geschikt ist, das Poßirliche zu verstärken und dem Lächerlichen eine Schärfe zu geben, welche weder die Rede noch die Gebehrden, noch der Tanz, zu erreichen vermögen. Man wird in keiner Comödie, bey keinem Ballet ein so lautes und allgemeines Lachen gehört haben, als das ist, daß man im Intermezzo und in der Operette gar ofte hört.

Da das Lachen auch seinen guten Nuzen hat, und in manchen Fällen, sowol der Gesundheit als dem Gemüthe sehr zuträglich ist; so würde man nicht wol thun, wenn man der Musik die Beförderung desselben verbiethen wollte. Es giebt Tonkünstler, die sehr gegen die comische Musik eingenommen sind, und glauben, daß eine so erhabene Kunst dadurch auf eine unanständige Weise erniedriget werde. Aber sie bedenken nicht, daß eine dem Menschen, nach den Absichten der Natur würklich nüzliche Sache, nicht niedrig seyn könne; sie haben nicht beobachtet, daß die Natur selbst bisweilen unter Veranstaltungen, die zu erhabenen Absichten dienen, Freud und Lachen mischt.

Man muß demnach der comischen Musik ihren Werth lassen, und nur darauf bedacht seyn, daß sie nicht gar zu herrschend werde, und das der gute Geschmak sie beständig begleite. Ich stimme gerne mit ein, wenn man den Tonsezer, der seine Zuhörer dadurch zum Lachen zu bringen sucht, daß er mit seinen Instrumenten ein Eselsgeschrey nachahmt, aus der Zunft stoßen will; aber, dem würde ich das Wort reden, der durch einen wizigen und launigen Contrast des Ernst- und Scherzhaften, durch würklich naive Schilderung lächerlich durch einander laufender Gemüthsbewegungen, mich lustig macht.

Seit kurzem hat man versucht die Operette, die anfänglich blos comisch war, etwas zu veredeln, und daraus entstehet izt allmählig ein ganz neues musicalisches Drama, welches von gutem Werth [851] seyn wird, wenn es von geschikten Dichtern und Tonsezern einmal seine völlige Form wird bekommen haben. Es ist der Mühe werth, daß wir uns etwas umständlicher hierüber einlassen.

Wie die große Oper wichtige und sehr ernsthafte Gegenstände bearbeitet, wobey starke Leidenschaften ins Spiehl kommen, so kann die Musik, die jeden Ton mit gleicher Leichtigkeit annihmt, auch dienen sanftere Empfindungen, Fröhlichkeit und bloßes Ergözen zu schildern. Um dieses mit einer schiklichen Handlung zu verbinden, wähle man den Stoff, wie die Comödie, aus angenehmen oder ergözenden Vorfällen des gemeinen Lebens. Es ist ja schon von den ältesten Zeiten her ein Hauptgeschäft der Musik gewesen, auch zu fröhlichen gesellschaftlichen Unterhaltungen, es sey durch Tanz oder blos durch Lieder, das ihrige beyzutragen. Wir haben bereits einige Proben von französischen und deutschen Operetten von gemäßigten sittlichen Inhalt, die zwischen der hohen tragischen Oper und den niedrigen Intermezzo gleichsam in der Mitte stehen, und uns Hofnung machen, daß diese Gattung allmählig mehr ausgebildet, und endlich zu ihrer Vollkommenheit gelangen werde. Das Rosenfest von Hrn. Herman, der Aerndtekranz, und einige andere Stüke von unserm Weiße, sind gute Versuche in dieser Art. Sie nihmt ihren Stoff aus dem Leben des Landvolkes, kann sich aber auch wol einen Grad höher zu den Sitten und Handlungen der Menschen vom Mittelstand erheben. Wir würden rathen diesem Drama der Musik einen Ton zu geben, der sich eben so weit von der Hoheit des Cothurns, als von der Niedrigkeit der comischen Maske entfernt. Der Dialog der Handlung wäre prosaisch, folglich ohne Musik, wie es bereits eingeführt ist; und an schiklichen Stellen würde der Dichter Lieder von allerley Art, auch bisweilen Arien anbringen. Die Lieder würden theils aus dem Inhalt selbst hergenommen, theils, als episodische Gesänge erscheinen. Die Arien könnten durch die Handlung selbst veranlasset, von jeder Art des lyrischen Inhalts seyn, nur mußten sie sich nie bis zum hohen Ton der großen Oper erheben.

Der Tonsezer mußte dabey auch den gar zu gemeinen und gassenliedermäßigen Ton verlassen; edel und fein, nur nicht prächtig, feyerlich, oder erhaben zu seyn, sich befleißen. Seine Arien wären weder so ausführlich und ausgearbeitet, noch von so mannigfaltiger Modulation, noch so reich an begleitenden Stimmen, als die großen Opernarien.

Auf diese Weise würde würklich eine neue sehr angenehme Art eines mehr sittlichen, als leidenschaftlichen Schauspiehls entstehen, wobey Poesie und Musik vereiniget wären. Außer dem unmittelbaren Nuzen, den es mit andern dramatischen Schauspiehlen gemein hätte, würde dieses noch den besondern Nuzen haben, daß dadurch eine Menge in Poesie und Musik guter Lieder und angenehmer kleiner Arien, die man, ohne eben ein Virtuos von Profeßion zu seyn, gut singen könnte, von der Schaubühne in Gesellschaften und in einsame Cabinetter verbreitet würden. Man sieht in der That, daß gegenwärtig, seit dem Herr Hiller in Leipzig, so viel sehr leichte und dem gemeinen Ohr gefällige Lieder und Arietten in Weißens Operetten angebracht hat, in Gesellschaften und auf Spaziergängen sehr viel mehr gesungen wird, als ehedem geschehen ist.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 851-852.
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