Quinte, falsche

[939] [939] Quinte, falsche

Von diesem dissonirenden Intervall, das die falsche Quinte genennt wird, ist vorher im Artikel Quinte Erwähnung gethan worden. Sie entstehet aus der wesentlichen kleinen Septime, auf einer Dominante von der ein Schluß in ihre Tonica gemacht wird, wenn im Basse durch Verwechslung anstatt dieser Dominante ihre Terz gesezt wird; nämlich: wenn anstatt

Quinte, falsche

dieses gesetzt wird

Quinte, falsche

oder wo man in dem wesentlichen Septimenaccord anstatt der großen Septime, die kleine nehmen muß, um die folgende Tonica anzukündigen, wie hier:

Quinte, falsche

wo der Quintsextenaccord die Verwechslung des Accords der kleinen Septime auf C als der Dominante von der folgenden Tonica F, ist.

Aus dem Ursprung dieses Accords der falschen Quinte ist offenbar, daß der Baß im nächsten Accord um einen Grad über sich trete, weil auf diese Weise der Schluß in die neue Tonica erhalten wird.

Aus dieser Fortschreitung ist die falsche Quinte, wenn sie auch die natürlicher Weise zu ihr gehörige Sexte nicht bey sich hat, zu erkennen, und von der kleinen Quinte des verminderten Dreyklanges zu unterscheiden. Nämlich: da der verminderte Dreyklang, in welchem die kleine (von der falschen wolzuunterscheidende) Quinte vorkommt, seinen Siz auf der großen Septime einer harten und auf der Secunde einer weichen Tonart hat,1 so ist seine Fortschreitung beym Schluß nothwendig so, daß der Baß um vier Grade über sich in die Dominante der Tonica in die man schließen will, trete. Daher sind die zwey Fälle, wo auf derselben Baßnote 5 b, einmal als die kleine Quinte, und ein andermal, als die falsche Quinte vorkommt, aus der Fortschreitung des Basses leicht zu unterscheiden. Folgende Beyspiehle werden die Sache völlig klar machen.

Quinte, falsche

Daß hier im ersten Beyspiehl die 5 b, die kleine Quinte des verminderten Dreyklanges, und nicht die dissonirende falsche Quinte sey, erhellet aus dem Schluß nach D mol, auf deren Secunde der verminderte Dreyklang natürlich ist; weswegen er auch auf dem Ton E zur Ankündigung, daß ein Schluß nach D mol geschehen werde, gebraucht worden.2 Darum mußte nun der Baßton E vier Grade über sich treten, um auf die Dominante der Tonica, dahin man schließen wollte, zu kommen. Hätte man aber die erste Verwechslung des Accords auf der Dominante nehmen wollen, so würde die Fortschreitung von E drey Grade unter sich gegangen seyn.

Daß die im zweyten Beyspiehl vorkommende Quinte 5 b nicht die kleine, sondern falsche Quinte sey, welche die Sexte bey sich haben könnte, ist aus dem Schluß nach F offenbar, welcher anzeiget, daß der vorlezte Accord der Septimenaccord auf C, als der Dominante von F, seyn müsse, folglich die da vorkommende Quinte, den Quintsextenaccord auf E, oder den Accord der kleinen Septime auf C anzeige.

Ueberhaupt ist hieraus auch zu sehen, daß die Quinte, sie sey natürlich klein, oder zufällig, durch 5 b angedeutet, wenn sie auf dem dritten Accord vor dem Schluße vorkommt, die kleine Quinte, und wenn sie auf dem vorlezten Accord vorkommt, die falsche Quinte sey, die sich in die große Terz der neuen Tonica auflösen müsse, da jene einen freyen Gang hat.

Nach diesen Erläuterungen ist über den Accord der falschen Quinte nichts weiter zu erinnern, als was von dem eigentlichen Quintsextenaccord im nächsten Artikel, gesprochen wird.

1S. Tonart; verminderter Dreyklang.
2Man sehe den Art. Ausweichung; wo das auf der 118 Seite stehende Beyspiehl eines Schlusses nach D mol, mit dem hier angeführten, auf einerley Grunde beruhet, obgleich dort die Bezifferung und Fortschreitung anders ist.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 939-940.
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