Strophe

[1114] Strophe. (Dichtkunst)

Ursprünglich bedeutete das Wort in den lyrischen Gedichten der Griechen eine Folge von Versen, die von einem Chor in einem Zug, oder Marsch gesungen wurde; weil das Singen mit einem feyerlichen Umzug oder Gang des singenden Chores verbunden worden. Wann der Chor sich in seinem Zug wendete; so fieng eine zweyte Folge von Versen an, deren Anzahl und metrische Einrichtung eben so war, wie in der ersten; also mußte der Chor eben so viel Schritte thun um die zweyte Strophe zu singen, als sie zur ersten nöthig hatte. Diese zweyte Folge wurd Antistrophe genannt. Wann der Chor hierauf stillstehend noch etliche Verse sang, so wurden diese zusammen Epodos genannt und waren in der metrischen Einrichtung von Strophe und Antistrophe verschieden. Wann mit diesen drey Säzen das Lied noch nicht geendiget war; so wurden in der Folge die Verse genau nach dem Sylbenmaaß und dem Metrum der vorhergehenden Säze wiederholt. Dieses kann man in den strophischen Chören der griechischen Tragödien und in den Oden des Pindars sehen.

Izt giebt man den Namen der Strophe in unsern Oden und Liedern einer Periode von etlichen Versen, die allen folgenden Perioden in Ansehung des Sylbenmaaßes und der Versart zur Lehre dienet. Nämlich drey, vier, oder mehr Verse, womit das Gedicht anfängt, dienen durch das ganze Lied in Absicht auf das Sylbenmaaß und die Länge der Verse dergestalt zur Lehre, daß hernach die Folge des Gedichts in jedem Abschnitt von drey, vier, oder mehr Versen, genau so seyn muß, wie in den ersten. Folgende vier Verse:


Freund! die Tugend ist kein leerer Name

Aus dem Herzen keimt der Tugend Saame,

Und ein Gott ists, der der Berge Spizen

Röthet mit Blizen.


machen eine Strophe der sapphischen Versart aus; so lange das Lied dauert, machen immer vier folgende Verse eine Strophe, die in Absicht des Sylbenmaaßes und der Länge der Verse genau so ist, wie diese.

Es giebt einfache und Doppelstrophen. Die einfachen, machen, wie die so eben angeführte, nur eine einzige Periode aus, die am End einen Hauptruhepunkt hat. Die Doppelstrophe besteht aus mehr Versen, die zwey rhythmische Hauptabschnitte ausmachen, wie folgende:


Welche Fluren! Welche Tänze!

Welche schön geflochtne Kränze!

Welch ein sanftes Purpurlicht!

Sanfter war die Morgenröthe

Die des Waldes Grün erhöhte

Mir im schönsten Lenze nicht!1


Obgleich die zweyte Hälfte genau dieselbe metrische Beschaffenheit hat, als die erste; so empfindet man doch, daß der Ton sich etwas abändert.

[1114] Bisweilen aber hat der andre Theil der Strophe ganz andre Verse, und alsdenn unterscheiden sich die beyden Abschnitte noch merklicher, wie hier:


Hier auf diesem Aschenkruge,

Weint die Freundschaft ihren Schmerz,

Und mit diamantnen Pfluge

Zieht der Kummer Furchen in mein Herz.

Finsterniß und Stille!

Unter eurer Hülle,

Lad' ich Erd' und Himmel zum Gehör.

Klagen will ich: Ach, mein Liebling

Ist nicht mehr.2


Diese Doppelstrophen gleichen den Tanzmelodien, die insgemein ebenfalls aus zwey Theilen bestehen, die sich im Ton unterscheiden. Bisweilen unterscheidet sich die zweyte Hälfte der Doppelstrophe von der ersten auch durch das Sylbenmaaß.

Die Doppelstrophen geben den Liedern große Annehmlichkeit, wegen der Veränderung des Tones, besonders wenn im zweyten Theil auch der Rhythmus sich ändert, wie in der so eben angeführten Strophe. Die eigentliche Ode scheinet die Doppelstrophe weniger zu vertragen.

1Jacobi.
2Die Karschinn.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1114-1115.
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