Wörter

[1278] Wörter. (Redende Künste)

Wir betrachten hier die Wörter nicht in ihrer ganzen Beschaffenheit und Bedeutung, als die Elemente der Sprach, sondern blos nach der besondern ästhetischen Kraft, die in einigen derselben liegt. Der Sprachlehrer zeiget, wie die Wörter gewählt, zusammengesezt, und wie das Veränderliche darin müsse bestimmt werden, um für jeden Fall das auszudrüken, was man zu sagen hat. Von diesem allgemeinen Gebrauch der Wörter ist hier die Rede nicht; sondern blos von dem, was Redner oder Dichter in gewissen Fällen, in Absicht des ästhetischen Gebrauchs besonderer Wörter zu überlegen haben. Redner und Dichter müssen sich so verständlich und so richtig ausdrüken, als es zum gemeinen Gebrauch nöthig ist; also kommt hier eigentlich nicht die Wahl der Wörter in Absicht auf Verständlichkeit und Richtigkeit, sondern in Rüksicht auf die ästhetischen Eigenschaften in Betrachtung.

In den redenden Künsten werden die Wörter in Rüksicht auf den Klang, und auf das Aesthetische der Bedeutung beurtheilet. Von dem Klang ist bereits gesprochen worden,1 also ist noch das Aesthetische der Bedeutung zu betrachten. Was wir darunter verstehen, ist bereits anderswo hinlänglich gezeiget worden.2 Die Redner und noch mehr die Dichter müssen sich ein besonderes Studium aus der Erwägung der ästhetischen Eigenschaften der Wörter machen. Denn erst alsdenn ist der Ausdruk vollkommen, wenn die Wörter den Charakter haben, der mit dem Inhalt übereinstimmt, wenn sie edel, hoch, comisch, pathetisch, angenehm, nachdrüklich und überhaupt genau in dem Ton und Charakter der Materie sind, zu deren Ausdruk sie gebraucht werden. Ein hohes Wort zum Ausdruk eines gemeinen Gedankens, wird lächerlich, und ein niedriges Wort zu Bezeichnung eines hohen, oder edeln Begriffs, ist anstößig.

Die genaue Kenntnis der ästhetischen Eigenschaft eines Worts erfodert nicht nur eine sehr genaue Bekanntschaft mit der Sprach, sondern auch Kenntnis der Welt, oder der verschiedenen Stände der Menschen, und einen sehr feinen Geschmak; denn ofte hangen sie von kaum merklichen Kleinigkeiten ab.

Die Beredsamkeit folget in der Wahl der Wörter nicht eben denselben Maximen, nach denen die Dichtkunst sie wählet. Zwar vermeiden beyde alles gemeine, niedrige, durch den gemeinesten Gebrauch abgenuzte; alles was unangenehme, oder wiedrige Nebenbegriffe erwekt. Die Beredsamkeit aber begnüget sich aus den bekanntesten Wörtern die edelsten und besten auszusuchen. Die Dichtkunst hingegen liebt das fremde, ungewöhnliche, das ihrem Ausdruk etwas ausserordentliches giebt. Da Ton und Sprache des Dichters schon an sich etwas ausserordentliches und enthusiastisches haben, so schiken sich auch dergleichen Wörter für die poetische Sprache. Schon die Griechen haben uns Beyspiehle dieser besondern Wahl poetischer Wörter gegeben. Wir haben aber schon anderswo von der Nothwendigkeit, und von der näheren Beschaffenheit der, der Dichtkunst eigenen Sprache, unsere Meinung geäußert.3

Nicht nur in Wörtern, wodurch man Hauptbegriffe ausdrükt, oder einzele merkwürdige Dinge bezeichnet, sucht die Dichtkunst etwas eigenes zu behaupten, sondern auch in solchen, die zur Verbindung der Begriffe, zum Schwung und zur Wendung der Gedanken dienen. Und wo sie aus Noth die Verbindungswörter aus der gemeinen täglichen Sprache des Umganges braucht, weiß sie ihnen doch durch fremde Stellung und einen nachdrüklichen Gebrauch einen höheren Ton zu geben.4

1S. Klang und Wolklang.
2S. Ausdruk. S. 104. 105.
3 Prosa; Poetische Sprache.
4S. Ton.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1278.
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