Reich, das

[1035] Das Reich, des -es, plur. die -e, ein Wort, welches die beyden Bedeutungen der Menge und der Macht in sich vereiniget. Es kommt in doppelter Gestalt vor.

1. Als ein Abstractum und ohne Plural, für Herrschaft, Regierung, d.i. Recht und Gewalt, das freye Verhalten anderer, besonders einer ganzen bürgerlichen Gesellschaft, zu bestimmen. Der Anfang seines Reichs, seiner Regierung, Mos. 10, 10. Er hätte dein Reich bestätiget, 1 Sam. 13, 13. Nun wird dein Reich nicht bestehen, V. 14. Dein Reich komme; dein ist das Reich, im Vater Unser. In dieser ehedem sehr üblichen Bedeutung[1035] ist es jetzt im Hochdeutschen veraltet, und nur noch im gemeinen Leben sagt man zuweilen, sein Reich hat nun ein Ende, seine Gewalt, seine Herrschaft.

2. Als ein Concretum und mit dem Plural.

1) Der ganze Umfang, der Inbegriff derjenigen Dinge, über welche jemanden die oberste Gewalt zukommt.

(a) In weiterer Bedeutung, ein jedes Gebieth, eine jede Provinz, ein Land, so fern es jemandes Herrschaft unterworfen ist. So nennet Ottfried Schwaben, oder Schwabenland, Suuaborich. In den eigenthümlichen Nahmen Österreich, Westerreich, hat es gleichfalls diese Bedeutung. Das Gebieth der Städte Aachen und Nimwegen, wird daselbst noch gewöhnlich das Reich von Aachen, das Reich von Nimwegen genannt, da es denn nichts anders als Gebieth oder ein freyes Reichslehen andeutet. Das Königreich, das einem Könige unterworfene Land, und in engerer Bedeutung, dasjenige Land, worauf die königliche Würde haftet. Ottfried gebraucht es häufig für Gegend; Niar in Riche, in dieser Gegend. Übrigens ist es außer den angezeigten Fällen in dieser Bedeutung veraltet, und nur noch im gemeinen Leben sagt man zuweilen, das gehöret in mein Reich, unter mein Gebieth, gehöret mir, kommt mir zu.

(b) In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung ist das Reich der ganze Umfang aller einem gekrönten Oberhaupte unterworfenen Provinzen; ich sage einem gekrönten Oberhaupte, d.i. einem Könige oder Kaiser, denn von Herzogthümern u.s.f. ist es nicht üblich.

(α) Eigentlich. Das Assyrische Reich, das Persische Reich, das Römische Reich, das Griechische Reich, das Türkische Reich. Frankreich, das Reich der Franken. Mit solchen Beysätzen ist es von großen, einem völlig unabhängigen Oberhaupte unterworfenen Staaten am üblichsten, ob es gleich auch sehr häufig von einem jeden Königreiche gebraucht wird. Der vornehmste im Reiche, im Königreiche. Ein Erbreich, ein Wahlreich. Das Reich Juda, das Reich Israel, in der Deutschen Bibel, ob man gleich nicht gern sagt, das Reich Spanien, das Reich Portugal, das Reich Preußen, sondern lieber Königreich, dagegen man absolute und ohne Beysatz das Wort Reich ohne Bedenken gebraucht. Ein König ohne Reich. Ein Reich einnehmen. Die Großen des Reichs. Figürlich ist in der Theologie das Reich Gottes der Inbegriff aller Gott unterworfenen Dinge, da man denn nach den verschiedenen Graden dieser Unterwerfung ein dreyfaches Reich annimmt: das Reich der Natur, oder Naturreich, der Inbegriff aller Gott als dem Schöpfer und Erhalter unterworfenen Dinge; das Gnadenreich, oder Reich der Gnade, der Inbegriff aller näher mit Gott vereinigten Menschen; das Reich der Herrlichkeit, der Inbegriff aller vollendeten Unterthanen des Reiches der Gnade. In der Deutschen Bibel kommen diese beyden letzten Reiche auch unter dem Nahmen des Himmelreiches vor.

(β) Figürlich werden oft die sämmtlichen oder doch die meisten Unterthanen eines Reiches oder Königreiches, und in andern Fällen die Stände desselben, schlechthin das Reich genannt, da es denn als ein Collectivum im Plural ungewöhnlich ist. Das Reich zusammen berufen. S. die folgende Bedeutung.

(c) In noch engerer Bedeutung verstehet man unter dem Worte Reich schlechthin nur das Deutsche Reich, oder wie es vollständig genannt wird, das heilige Römische Reich Deutscher Nation; wo es wieder in verschiedenen Verhältnissen üblich ist.

(1) Von dem ganzen Umfange der mit dem Kaiser als ihrem gemeinschaftlichen Oberhaupte verbundenen Provinzen. Zum Reiche gehören. Die Stände des Reichs oder Reichsstände. Das Reich erschöpfen. Ein Kreis des Reichs oder Reichskreis. S. auch die folgenden Zusammensetzungen in Reichs-[1036]

(2) In engerer Bedeutung werden die obern Kreise des Reiches, welche zusammen Oberdeutschland ausmachen, mit Ausschließung Ober- und Niedersachsens, Westphalens und Böhmens, häufig das Reich genannt, besonders in den jetzt genannten Provinzen, weil jene das alte Reich der ehemahligen Fränkischen Könige ausmachten, diese aber demselben später unterworfen worden. In das Reich reisen, nach Oberdeutschland. Briefe aus dem Reiche haben. In noch engerer Bedeutung führen zuweilen aus eben dieser Ursache die Gegenden am Rheine und Maine, mit Ausschließung Baierns und Österreichs, den Nahmen des Reichs.

(3) Figürlich, die Versammlung des Kaisers und der vornehmsten Reichstände, oder ihrer Abgeordneten, und zuweilen auch nur die Reichsstände oder ihre Abgeordneten allein. Das zu Regensburg versammelte Reich. Etwas an das Reich bringen. S. auch Reichsabschied, Reichstag u.s.f. Ich übergehe andere ehedem übliche Bedeutungen, da man bald den Kaiser mit seinem Hofstaate, bald die Reichsarmee, bald die sämmtlichen Reichsstädte mit ihrem Gebiethe, bald den Reichsschatz, bald die hohen Reichsgerichte u.s.f. nur das Reich schlechthin zu nennen pflegte.

In dieser ganzen engern Bedeutung ist der Plural ungewöhnlich, weil die Sache selbst die einzige ihrer Art ist.

2) Im weitesten Verstande ist Reich in vielen Fällen der Inbegriff aller Dinge Einer Art, da sich denn der Begriff der Herrschaft verlieret, der Begriff der Menge aber allein übrig bleibt. Das Feuerreich, der Inbegriff alles dessen, was man unter dem Nahmen des Feuers begreift, und in engerer Bedeutung der Gegend, zuweilen auch derjenige Theil des Weltgebäudes, welcher einigen zu Folge ganz mit Feuer angefüllet seyn soll, wo Reich so viel als Region bedeutet, in welchem Verstande auch das Wort Luftreich zuweilen gebraucht wird. Das Wasserreich, der Inbegriff aller zum Wasser gehörigen Körper. Das Erdreich, so wohl der Erdkörper selbst mit allen darauf befindlichen Wesen, als auch im engern Verstande, die Erde, als ein von dem Wasser, dem Feuer und der Luft verschiedener Körper betrachtet. Das Reich der Körper oder das Körperreich, der Inbegriff aller Körper, im Gegensatze des Reiches der Geister oder des Geisterreiches. Das Naturreich oder das Reich der Natur, so wohl in weiterer Bedeutung, der Inbegriff aller vorhandenen Dinge, als auch in engerer, der Inbegriff aller auf und unter der Erde befindlichen Körper; in welcher letztern Bedeutung man das Naturreich wieder in drey besondere Reiche einzutheilen pflegt, welche das Reich der Thiere oder das Thierreich, das Reich der Pflanzen oder das Pflanzenreich, und das Steinreich oder Mineral-Reich genannt werden, den großen Reichthum der Natur aber bey weitem nicht erschöpfen, wie die Polypen, Thierpflanzen, Infusions-Thierchen u.s.f. beweisen.

Anm. Im Isidor Riih, bey dem Kero Rihh, bey dem Ottfried Rich, im Nieders. Riek, im Angels. Rice, im Isländischen Riki, im Schwedischen Rike, im Dänischen Rign. Es vereinigt den Begriff der Menge, welcher besonders in der letzten Bedeutung hervorsticht, (S. das Beywort Reich,) mit dem Begriffe der Macht, der Herrschaft. Beyde Bedeutungen gründen sich auf eine Nachahmung ähnlicher Laute. Zur letzten Bedeutung der Herrschaft gehören so wohl das veraltete reichen, und dessen gleichfalls veraltetes Intensivum reichsen, regieren, Lat. regere, als auch das ehemahlige Recke, ein Held, Fürst, Regent, Lat. Rex, Goth. Recks, im alt Preußischen Reckis. S. auch das folgende.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1035-1037.
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