Benedict von Spinoza

[332] Benedict (eigentlich Baruch) von Spinoza oder Spinosa, einer der berühmtesten, aber auch berüchtigtsten [332] Philosophen des 17. Jahrhund., war zu Amsterdam am 24. Novbr. 1632 geboren, wo sein Vater, ein Portugiesischer Jude, als Handelsmann lebte. Dieser hielt es, bei seinen eingeschränkten Vermögensumständen, für besser, seinen Sohn der Synagoge als der Kaufmannschaft zu widmen, und ließ ihn daher in der Hebräischen Literatur unterrichten. Schon in seinem fünfzehnten Jahre machte der junge Spinoza seinen Lehrern Einwürfe, die sie, wie er merkte, ihm nicht beantworten konnten, ungeachtet er sich bei ihren Antworten befriedigt stellte. Da es ihm aber jetzt, so wie sein ganzes Leben hindurch, darum zu thun war, bei allen seinen Untersuchungen Wahrheit zu finden, die, nach seinem Urtheile, nicht gelehrt, sondern selbst aufgesucht werden müßte; so entschloß er sich, dieses ohne Führer zu thun. Er studirte zuerst die Bibel und den Talmud, fand aber in ihnen keine Befriedigung; jedoch hielt er es für gut, seine Gedanken über beide erst reifen zu lassen und Niemanden mitzutheilen. Er hatte sich durch seinen Fleiß und Bescheidenheit die Liebe Morteiraʼs, eines der gelehrtesten Rabbinen, erworben, und man sah in ihm schon ein künftiges Mitglied dieser Klasse, als plötzlich sein Schicksal eine unvermuthete Wendung nahm. Er hatte einst eine Unterredung mit zweien seiner Glaubensgenossen, die seine Grundsätze auszuforschen suchten, und äußerte sich dabei etwas freimüthig über die Religion. Zwar brach er bald das Gespräch ab, und da er den schlechten Charakter jener Personen kennen lernte, hob er allen Umgang mit ihnen auf. Allein aus Rache fingen diese nun an, ihn als einen Gotteslästerer zu verschreien, und klagten ihn endlich gar bei der Synagoge an. Man forderte Spinozaʼn vor dieselbe, und da er zu keinem reuigen Bekenntnisse zu bewegen war, so sprach Morteira selbst, als Oberster der Synagoge, über ihn das Urtheil der Verbannung und Ausstoßung aus der jüdischen Gemeine. Spinoza verließ nun das Judenthum ganz, änderte auch deßhalb seinen jüdischen Namen Baruch in Benedict. Er fand glücklicher Weise eine Freistatt bei einem Bekannten, einem Arzte zu Amsterdam, van der Enden, der mit vielem Beifalle in der Lateinischen und Griechischen Sprache Unterricht gab, wobei ihn, wenn er abwesend [333] war, seine Tochter unterstützte. Spinoza, der noch in beiden Sprachen ganz Fremdling war, und sich doch den Wissenschaften widmen wollte, erhielt von Enden und seiner Tochter, und zwar seiner Armuth wegen, unentgeldlichen Unterricht. (Letztere flößte ihm Liebe ein; allein ein anderer junger Mann, der ebenfalls Endenʼs Sprachunterricht genoß, kam ihm zuvor, und erhielt ihre Hand.) Noch verfolgte Spinozaʼn die Rache der Rabbinen, die endlich bei dem Magistrat in Amsterdam seine Verbannung aus der Stadt, jedoch nur auf einige Monathe, bewirkten. Spinoza begab sich jetzt nach Rynsburg (unweit Leyden), um sich ganz dem Studium der Philosophie zu widmen. Da ihm alle frühere philosophische Systeme unzureichend schienen, so fing er an, nach und nach ein eignes auszuarbeiten. So sehr er in Einsamkeit zu leben wünschte, so suchten ihn doch seine Freunde auf, und bewogen ihn, eine Erklärung des damahls berühmten philosophischen Systems des Descartes (s. d. Art.) herauszugeben, welche 1663 erschien. Ungeachtet dieses Werk, welches die Mängel in Descartes Lehrsätzen sichtbar machte, ihm unter dessen Anhängern viele Feinde machte, so breitete sich doch durch dasselbe zugleich sein Ruhm aus, und man gab sich sogar Mühe, ihn für die katholische Kirche zu gewinnen. Ein junger Niederländer, Albert Burgh, der nur erst zu derselben übergetreten war, suchte ihn hierzu zu bewegen; allein Spinoza schlug dieses Anerbieten sehr nachdrücklich aus1. Um noch verborgener zu leben, begab er sich nach Voornburg bei Haag, wählte aber endlich, auf Anrathen [334] seiner Freunde, den letztern Ort zu seinem beständigen Aufenthalte. Ungeachtet der häufigen Besuche fremder Gelehrten und selbst mehrerer Großen, ungeachtet seines ausgebreiteten Briefwechsels und seiner übrigen schriftstellerischen Arbeiten, blieb ihm noch immer Muse übrig, täglich einige Stunden auf die Verfertigung von Mikroskopen und Teleskopen zu verwenden, in der er sich eine große Fertigkeit erwarb, und man hatte Grund, von ihm auch Entdeckungen für die Optik zu erwarten. Vergebens trug man ihm mehrere Stellen, besonders eine Professur der Philosophie zu Heidelberg an; er schlug sie aus, weil er fürchtete, daß seinen mündlichen Vorträgen bald Hindernisse in den Weg gelegt werden möchten, und setzte seine wahrhaft philosophische Lebensweise ungehindert fort. Doch die Schwäche seiner Constitution, seine häufigen Arbeiten und Nachtwachen, zogen ihm bald ein schleichendes Fieber zu, an dem er am 21. Febr. 1677 im 45. Lebensjahre starb. – Man rühmt ihn als Menschen allgemein, und erzählt mehrere Züge seiner Uneigennützigkeit, Großmuth und Menschenliebe; man nennt ihn als Philosophen einen tiefsinnigen Kopf; allein man erklärt ihn meisten Theils für einen Gotteslängner. Gegen diesen Vorwurf hat jedoch Heydenreich in der angeführten Schrift seine Vertheidigung hinlänglich geführt, und überhaupt Spinozaʼs System wohl am lichtvollsten und reinsten dargestellt. Nur ist zu bedauern, daß der 2. Band derselben, der eine Widerlegung dieses Systems enthalten sollte, nicht erschienen ist; zumahl da Heydenreich die Lücken, die wegen Spinozaʼs frühen Absterbens in dessen System geblieben waren, ergänzt und so die Widerlegung desselben erschwert hat. (Man s. übrigens den Art. Realismus, Th. 4. S. 84.)


Fußnoten

1 Man sehe Spinozaʼs Antwort auf Burgbʼs Brief in K. H. Heydenreichʼs Natur und Gott nach Spinoza, 1. B. (Leipz. 1789. 8.) S. XLV – LIX in der Note. – Nach den Grundsätzen, die er in diesem Briefe äußert, und besonders nach dem Schlusse desselben, läßt es sich mit Grund vermuthen, daß Spinoza auch der Verfasser einer seltenen Schrift: Von dem Rechte geistlicher Personen, sei, welche unter dem Namen Lucius Antistius Constans 1665. 8. in Lateinischer Sprache erschien, und die ihm mehrere seiner Biographen beilegen.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 332-335.
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