Carl der Große

[222] Carl der Große, ein Sohn Pipins, Königs der Franken und Deutschen, wurde im J. 742, nach einigen auf dem Schlosse Ingelheim bei Mainz, nach andern auf dem Schlosse Salzburg in Ober-Bayern geboren, und starb im J. 814 zu Aachen, wo man sein Grabmahl zeigt. Alles war groß an ihm. Er hatte einen hohen Wuchs, große lebhafte Augen, ein heiteres offnes Gesicht und eine Adler-Nase. Nach dem Tode seines Vaters erhielt er Austrasien und Neustrien, nebst einigen Provinzen vom alten Germanien, und nach dem Tode seines Bruders Carloman wurde er als König der ganzen Fränkischen Monarchie anerkannt. Seine ersten Unternehmungen waren gegen die Sachsen gerichtet. Es wurden jedoch dreißig Jahre erfordert, ehe es ihm gelang, diese tapfre Nation, an deren Spitze Wittekind focht, ganz zu unterjochen. Die Sachsen waren die einzigen seiner Feinde gegen die er sich grausam zeigte. Daneben focht er in Italien, wohin er dem Pabst zu Hülfe eilte, wie auch in Spanien. Im J. 800 wurde er vom Pabst Leo III. zum Kaiser des Occidents gekrönt, welche Würde im J. 476 mit Augustulus zu Grunde ging. Sein Name erfüllte die Erde. Die Kaiser des Orients [222] bewarben sich um seine Freundschaft. Er war gleich groß im Frieden als im Kriege; ein eben so weiser Gesetzgeber, als ein großer Eroberer. Seine rastlose Thätigkeit, vermöge der er sein großes Reich (welches aus ganz Gallien, einer Provinz von Spanien, dem festen Lande von Italien bis nach Benevent, ganz Deutschland, den Niederlanden, und einem Theil von Ungarn bestand) ohne Unterlaß selbst durchreiste; seine weisen Gesetze, welche für seine Zeit bewundernswürdig waren; seine Beschützung der Wissenschaften werden ihm stets eine Stelle unter den ersten Regenten versichern. »Carlwar ein großer Mann« sagt der Verfasser des Fürstenbundes, »die Deutsche Nation hat gegen die Helden des Alterthums vorzüglich ihn und Friedrich«. Nicht weniger groß als der Fürst war in ihm der Mensch. Einen schönen häuslichen Zug von ihm liefert die bekannte, wiewohl freilich nicht ganz erwiesene Geschichte seiner Tochter Emma. Ueberhaupt wußte er sich große Liebe zu erwerben. Ich schließe mit der Schilderung, die Montesquieu von ihm macht, und welche zugleich dasjenige enthält, was von diesem großen Manne hier noch zu sagen übrig ist: »Carl der Große war bemüht, die Macht des Adels in Schranken zu halten, und die Unterdrückung der Geistlichkeit und der freien Leute zu verhindern. Er wußte ein solches Gleichgewicht unter die Stände des Reichs zu bringen, daß der eine dem andern die Wage hielt, er selbst aber Herr blieb. Sein unermüdeter Geist brachte alles in geschickte Vereinigung. Er führte seinen Adel von einem Feldzuge zum andern, und ließ ihm keinen Augenblick Zeit, eigne Anschläge auszusinnen, indem er ihn immer damit beschäftigte, die seinigen ausführen zu helfen. Das Reich erhielt sich durch die Größe seines Oberhauptes, der als Fürst groß, und als Mensch noch größer war. Die Könige, seine Söhne, waren seine ersten Unterthanen, Gehülfen seiner Macht und Muster des Gehorsams. Er machte vortreffliche Anordnungen, und was noch mehr war, er hielt auch darüber. Sein alles umfassender Geist erstreckte sich bis auf die kleinsten Theile seines Reiches. Aus seinen Gesetzen leuchtet überall eine Klugheit hervor, die alles voraussieht und eine Stärke, die alles mit sich fortreißt. Aller Vorwand, sich seinen Pflichten zu entziehen, ward aus dem Wege geräumt, die Nachlässigkeit [223] gestraft, der Mißbrauch gebessert, oder gleich von weiten aufgehalten. Er wußte, wie man strafen, und noch besser, wie man verzeihen mußte. Tief in seinen Anschlägen, und einfach bei ihrer Ausführung, verstand niemand so vollkommen die Kunst, die größten Sachen leicht und die schwersten geschwind auszurichten. Ohne Aufhören durchlief er sein weitläuftiges Reich, und half ihm überall auf, wo es sinken wollte. Ueberall kamen neue Händel in den Weg, und überall that er sie augenblicklich ab. Kein Prinz vermied die Gefahren geschickter, wenn sie drohten, und keiner bot ihnen herzhafter die Stirne, wenn sie da waren. Ueber persönliche Gefahren setzte er sich ganz hinweg, absonderlich über die, welche so gern Eroberer zu treffen pflegen, ich meine die Verschwörungen. Dieser bis zum Verschwenden freigebige Fürst war gleichwohl außerordentlich mäßig, sanft in seinen Charakter und einfach in seinem Betragen, war er die Seele seiner Hofleute. Vielleicht liebte er das Frauenzimmer zu sehr; aber ein Fürst, der alles allein regierte, und sein Leben in Arbeit und Geschäften zubrachte, kann einige Nachsicht mehr verdienen Sein Aufwand war äußerst ordentlich eingerichtet und bei Verwaltung seiner Domainen ging er so klug als aufmerksam und wirthschaftlich zu Werke. Seine Gesetze sind so beschaffen, daß ein Hausvater die Verwaltung seines Hauswesens daraus lernen könnte. In seinen Capitularien findet man die reine und geheiligte Quelle, aus welcher er seine Reichthümer nahm. Nur noch ein Wort will ich von ihm sagen: Er ließ die auf den Höfen seiner Domainen eingekommenen gelegten Zinseier und die nützlichen Kräuter aus seinen Gärten verkaufen. Das that dieser Fürst, der alle Reichthümer der Longobarden, und die unermeslichen Schätze, welche die Hunnen zusammen geplündert hatten, unter die Nation vertheilt hatte«.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 222-224.
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