China oder Sina

[256] China oder Sina, eins der berühmtesten Reiche Asiens, grenzt an das Asiatische Rußland, die große Tartarei, Tibet, Ostindien und das Südmeer, und besteht aus zwei Theilen, nehmlich dem eigentlichen China und den Besitzungen der Mondschu, welche das Reich in der Mitte des vorigen Jahrhunderts eroberten. Ersteres ist an der Nord- und Westseite mit einer ungeheuern Mauer umgeben, begreift 15 Provinzen, und die Volksmenge ist hier unglaublich stark, indem sie auf ungefähr 59 Millionen berechnet worden ist, und von manchen noch weit stärker angegeben wird. Zu letzterm gehört ein Theil der großen Tartarei, Corea, Tunkin, ein Theil der Mungelei u. s. w. Die Producte sind sehr beträchtlich, der Ackerbau wird außerordentlich unterstützt, und die Europäer, die mit den Chinesern in Verbindung stehen, kaufen von ihnen besonders Seide, Schaaf- und Baumwolle, roh so wohl als verfertigt, Thee, Porcellan und andere Artikel; jedoch erschweren die Chineser den Europäern den Handel ungemein. Die Regierung, die zu Peking ihren Sitz hat, ist monarchisch, erblich und uneingeschränkt, das Oberhaupt führt den Titel eines Kaisers. Staatsbeamte (zu denen auch Prister gerechnet werden) und Officiere heißen beide Mandarine, [256] und haben den Rang über die gemeinen Volksclassen. Die Sprache und Schrift der Chineser sind unter allen bekannten beinahe die schwersten. Die Religion der Chineser ist sehr verschieden. Die älteste ist die des Fohi, eines der ersten Monarchen, den man für den Sohn des Regenbogens ausgab, und enthält nur rohe Begriffe vom Dasein Gottes. Auf sie folgt die des Laokiun, welcher, gleich dem Epikur, Vergnügen zum höchsten Ziel des menschlichen Strebens machte. Kurz nach ihr entstand die des Confuz. Dieser edle und berühmte Weltweise verbesserte (im 6. Jahrh. vor Chr. Geb) die Begriffe von der Gottheit und ihrer Verehrung; empfahl besonders Moralität und Lebensweisheit, enthielt sich aber, so viel als möglich, aller höhern Speculationen. Seine in vieler Rücksicht musterhafte Religion ist noch jetzt in China die allgemeinste, ungeachtet nicht nur die beiden vorigen noch geduldet werden, sondern auch die Lehre des Dalai Lama, die von den Mandschu nach China gebracht worden ist. Der ungelehrte Theil des Volks lebt aber im tiefsten Aberglauben und fast ohne alle Religion. Missionarien suchten seit dem Anfange des 17. Jahrh. die christliche Religion, wie wohl nicht ohne große Mühe, zu verbreiten. Zwar haben die Chineser in nachahmungswerthen Anstalten, so wie auch in der Staatsverfassung, den Künsten und Wissenschaften, alle Völker Asiens von jeher bis auf die neuesten Zeiten übertroffen; auch kann man nicht läugnen, daß viele Erfindungen, z. B die des Schießpulvers und einer Art der Buchdruckerkunst, von ihnen weit früher als selbst von den Europäern gemacht worden sind: allein sie blieben auf dem schon vor vielen Jahrhunderten erreichten Punkten der Cultur stehen, aller Erfindungsgeist verlor sich, und bloß eine mechanische Industrie, die längst ihre Schöpferkraft verlor, war und ist noch jetzt die Triebfeder ihrer Handlungen. Hierzu gesellt sich aber noch ein unerträglicher und beispielloser Stolz, denn die Chineser glauben in allen Dingen schon das Ziel erreicht zu haben, blicken mit Verachtung auf jeden Nachbar und selbst auf den aufgeklärten Europäer herab; und ob sie gleich durch die Missionarien die Kenntnisse der Abendländer einiger Maßen schätzen gelernt haben; so behaupten sie doch noch immer, daß sie allein mit zwei Augen und die Europäer nur mit einem Auge sähen, andere [257] Völker aber ganz blind wären. Die neuesten Aufklärungen über die Chineser ertheilt Macartney, der die Brittische Gesandschaft nach China von den Jahren 1792 – 94 als Augenzeuge beschrieben hat.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 256-258.
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