Die Gartenkunst

[80] Die Gartenkunst, als schöne Kunst betrachtet, ist ein neuerer Zweig der schönen Künste, eben so interessant für den Geist als wohlthätig für unser Herz. Es sind nicht gemeine Talente, welche der Gartenkünstler besitzen muß. Soll er den Forderungen seiner Kunst Genüge leisten: so ist es nicht genug, daß er, wie [80] der Landschaftsmahler, einzelne schöne Partien für den still stehenden Beobachter zu ergreifen und darzustellen wisse; er muß dieses, aber er muß noch mehr thun: er muß diese Partien für den umherwandelnden Freund der Natur so auf einander folgen lassen und ordnen, daß sie nicht nur an sich ein schönes sondern auch ein edlere Gefühle erregendes Ganze bilden. – Bei den Alten finden wir keine Spuren von Gärten, welche uns zu den Schluß berechtigten, daß sie in der schönen Gartenkunst große Fortschritte gemacht hätten: selbst der berühmte Griechische Garten des Alcinous, den uns Homer beschreibt, enthält dieser Beschreibung nach wenig Kunst; und auch von den Römischen Gärten können wir uns nach dem, was wir davon wissen, keine andere Idee machen. In den neuern Zeiten finden wir erst gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts Gärten in Italien, deren größte Zierde aber vielleicht in Spielereien der Wasserbaukunst bestand, welche nächst schönen dunkeln Schattenpartien noch jetzt die vorzüglichsten Theile der Italiänischen Gärten sind. Unter Ludwig XIV. entstanden die so genannten Französischen Gärten, deren Charakter abgemessene Regelmäßigkeit nach den Gesetzen der Symmetrie und Zimmern ähnliche Reinlichkeit ist, wobei sie sich sonderbare Spielereien mit Porcellan-Scherben, bunten Steinen etc. erlauben. Le Notre, der Schöpfer dieses neuen Geschmacks, hatte denselben seiner ersten Meinung nach ausschließlich für die Tuillerien zu Paris bestimmt: und für diesen Ort, welcher in einem großen Bezirke alle Bürger, die nicht zum Pöbel gehörten, und eine unzählige Menge Fremde in sich versammeln sollte, waren gewiß die Regelmäßigkeit und Ordnung, vermöge welcher das Ganze leicht zu übersehen war und nichts dem Auge ganz verborgen bleiben konnte, so wie der Reichthum und die Pracht der Verzierungen an ihrem Platze; und sie sind es noch bei ähnlichen Zwecken. Allein unglücklicher Weise sah Le Notre, durch den Beifall, den der Garten in den Tuillerien erhielt, berauscht, diesen Geschmack in der Folge für den einzig wahren an, und verbreitete ihn nicht nur über ganz Frankreich, sondern auch über die meisten Theile von Europa: bis der Ueberdruß dieser Einförmigkeit – zu [81] welchem vielleicht noch die Beschreibung der Chinesischen Gärten kam, welche mit den Englischen große Aehnlichkeit haben – in England eine Revolution in der Gartenkunst bewirkte; eine Revolution, die zwar, wie alle Revolutionen, anfangs bloß im Entgegengesetzten bestand, und eben so sehr die Unnatur begünstigte als der Französische Geschmack (nur daß dieses auf die entgegengesetzte regellose Art geschah), die sich aber mit der glücklichen Einführung der Naturgärten endigte, von welchen Pope in seinem Garten zu Twickenham das erste Muster gab, und in Rücksicht auf welche die Gartenkunst den Rang einer schönen Kunst behauptet. Diese Englischen oder Naturgärten (eine Benennung, welche zugleich den wahren Charakter derselben anzeigt) mußten natürlich schon ihrer innern Vorzüge wegen überall Eingang finden; sie verdrängten die Französischen gar bald, selbst von Orten, an denen sie nicht unpassend sein würden. Die Einführung des neuen Geschmacks in den nördlichen Gegenden Europens hat zum Theil Hirschfeld durch seine Theorie der Gartenkunst bewirkt; dieser treffliche Mann wünscht nebst mehrern Andern, die Gärten in diesem Geschmack Deutsche Gärten nennen zu hören, ohne jedoch das eigenthümliche Deutsche an denselben genau zu bestimmen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 80-82.
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