Gartenkunst

[421] Gartenkunst.

Diese Kunst hat eben so viel Recht als die Baukunst, ihren Rang unter den schönen Künsten zu nehmen. Sie stammt unmittelbar von der Natur ab, die selbst die vollkommenste Gärtnerin ist. So wie also die zeichnenden Künste die von der Natur gebildeten schönen Formen zum Behuf der Kunst nachahmen, so macht es auch die Gartenkunst, die mit Geschmak und Ueberlegung jede Schönheit der leblosen Natur nachahmet, und das, was sie einzeln findet, mit Geschmak in einen Lustgarten vereiniget. Da die Natur den allgemeinen Wohnplatz der Menschen so schön ausgeschmükt, und mit Gegenständen so mancherley Art, die in so angenehmer Abwechslung auf uns würken, bereichert hat; so ist es sehr vernünftig, daß der Mensch in Anordnung seines besondern Wohnplatzes ihr darin nachahmet, und sich die Gegend, wo er die meiste Zeit seines Lebens zubringen muß, so schön macht, als er kann. Dazu hilft ihm die Gartenkunst, der es auch nicht an sittlicher Kraft auf die Gemüther fehlet, wie schon anderswo ist bemerkt worden1. Man sieht augenscheinlich, daß die Einwohner schöner Länder mehr Leben und mehr Anmuthigkeit des Geistes besitzen, als die, die vom Schiksal in schlechte Gegenden versetzt worden sind. Hieraus läßt sich der Werth der Kunst, von der hier die Rede ist, abnehmen.

Das Wesen dieser Kunst besteht also darin, daß sie aus einem gegebenen Platz, nach Maaßgebung seiner Größe und Lage, eine so angenehme und zugleich so natürliche Gegend mache, als es die besondern Umstände erlauben. Sie hat keine andre Grundsätze, als ein gesundes Urtheil und Geschmak, auf die Betrachtung dessen angewendet, was in Gegenden, Landschaften und einzeln Theilen derselben angenehm ist. Man studiret diese Kunst blos in der Natur selbst, bey Spaziergängen, bald in offenen Gegenden, bald in Wäldern, bald in Büschen, oder auf einsamen Fluhren, auf Hügeln und in Thälern. Jede Schönheit, die die Natur an solchen Oertern anzubringen gewußt hat, muß einem verständigen Gärtner fühlbar seyn. So wie der Historienmahler Phisionomien, Stellungen und Gebehrden beobachtet und sammelt, so bereichert der Gärtner seine Einbildungskraft mit angenehmen Gegenden und Scenen, um bey jedem Garten so viel, als sich jedesmal schiket, davon anzubringen.

Diesen Reichthum der Phantasie aber muß er mit Beurtheilung und Geschmak brauchen, damit er jedem seinen Ort zu geben wisse und nichts zur Unzeit anbringe. Eine Grotte muß nicht an einem Parterre, und ein einsamer dunkeler Busch nicht gerade vor einem Hauptgebäude angelegt werden. Das Offene und das Verschlossene, das Ordentliche [421] oder Regelmäßige und das Wilde, das Helle und Dunkele, muß in einer angenehmen Abwechslung in einem Lustgarten vereiniget seyn. Und wenn alles Schöne darin zusammengebracht ist, so muß das Ganze so angeordnet seyn, daß der Plan der Anordnung nicht leicht gefaßt werde. Hier ist es weit angenehmer, wenn man gar keinen Plan der Anordnung entdeket, als wenn er zu bald in die Augen fällt. Der Gärtner muß beynahe überall das Gegentheil von dem thun, was der Baumeister thut. Dieser macht alles symmetrisch, nach Regel und Maaßstab, nach waag- und lothrechten Linien, und dieses ist gerade das, was der Gärtner am meisten zu vermeiden hat. Denn da er blos die Natur in schönen Gegenden nachahmen soll, wo selten etwas gerades oder vollkommen ebenes ist, so muß er dieses mit großer Mäßigung und blos zum Gegensatz des natürlichen brauchen. Von Gärten von lauter geraden und wol geebneten Gängen, von Heken, die wie Mauren gerade und glatt geschnitten sind; von Parthien die nach Art der Zimmern und Säle in Gebäuden gemacht, von Wasserbeken, die wie Spiegel geformt; von Bäumen die nach den Formen der Thiere ausgeschnitten sind, wird ein Liebhaber der Natur nie etwas halten, wenn sie gleich nach der neuesten Mode seyn sollten. Er wird dem Besitzer und Liebhaber eines solchen Gartens aus dem Horaz zurufen.


–– Quæ deserta et inhospita tesqua

Credis, amoena vocat mecum qui sentit; et odit

Quæ tu pulchra putas.2


Man ist in keiner Kunst mehr von den wahren Grundsätzen, auf denen sie beruhet, abgewiechen, als in dieser. Mancher Eigenthümer oder Gärtner glaubt einen um so viel schönern Garten zu haben, um so mehr es ihm gelungen ist, die Natur daraus zu verdrängen. Man macht Büsche von dürrem Holz, und Fluhren von Corallen. Man sucht, so viel möglich, wie in einem Gebäude, eine Hälfte des Gartens der andern ähnlich zu machen, da die Natur die Eurythmie überall in Landschaften vermeidet. Wie mancher natürlich schöner Platz ist nicht mit erstaunlichen Unkosten in einen unfruchtbaren und langweiligen Platz verwandelt worden?

Aus. einer Beschreibung, die der Engländer Chambers3 von den chinesischen Gärten gegeben, erhellet, daß dieses Volk, das sich sonst eben nicht durch den feinesten Geschmak hervorthut, in dieser Kunst von andern Völkern verdienet nachgeahmt zu werden. Wir wollen das merkwürdigste dieser Beschreibung hieher setzen; denn der Geschmak der Chineser verdienet bey Anlegung großer Gärten zur Richtschnur genommen zu werden.

Die Chineser nehmen bey Anlegung und Verzierung ihrer Gärten die Natur zum Muster, und ihre Absicht dabey ist, sie in allen ihren schönen Nachläßigkeiten nachzuahmen. Zuerst richten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Beschaffenheit des Platzes, ob er eben oder abhangend ist, und ob er Hügel hat, ob er in einer offenen oder eingeschlossenen Gegend, troken oder feucht ist, ob er Quellen und Bäche, oder Mangel an Wasser habe. Auf alle diese Umstände geben sie genau Achtung, und ordnen alles so an, wie es sich jedesmal für die Natur des Platzes am besten schiket, zugleich die wenigsten Unkosten verursachet; wobey sie die Fehler des Landes zu verbergen, und seine Vortheile hervorleuchtend zu machen suchen.

Da dieses Volk sich wenig aus den Spaziergängen macht, so trift man bey ihm selten solche breite Alleen und Zugänge an, dergleichen man in den europäischen Gärten findet. Das ganze Land ist in mancherley Scenen eingetheilet, und krumme Gänge, durch Büsche ausgehauen, führen zu verschiedenen Aussichten4, die das Aug durch ein Gebäude oder sonst einen sich auszeichnenden Gegenstand auf sich ziehen.

Die Vollkommenheit dieser Gärten besteht in der Menge, der Schönheit und Mannigfaltigkeit solcher Scenen. Die chinesischen Gärtner suchen, wie die europäischen Mahler, die angenehmsten Gegenstände einzeln in der Natur auf, und bemühen sich dieselben so zu vereinigen, daß nicht nur jeder für sich gut angebracht sey, sondern aus ihrer Vereinigung zugleich ein schönes Ganzes entstehe.

Sie unterscheiden dreyerley Arten von Scenen, die sie lachende, fürchterliche und bezaubernde nennen. Die letzte Art ist die, die wir romantisch nennen, und die Chineser wissen durch mancherley Kunstgriffe sie überraschend zu machen. Sie leiten [422] bisweilen einen rauschenden Bach unter der Erde weg, der das Ohr derer, die an die Stellen, darunter sie wegströhmen, kommen, mit einem Geräusche rühret, dessen Ursprung man nicht erkennt. Andremal machen sie ein Gemäuer von Felsen, oder bringen sonst in Gebäuden und andern in den Garten angebrachten Gegenständen Oefnungen und Ritzen so an, daß die durchstreichende Luft fremde und seltsame Töne hervorbringt. Für diese besondere Parthien suchen sie die seltensten Bäume und Pflanzen aus; auch bringen sie in denselben verschiedene Echo an, und unterhalten darin allerhand Vögel und seltene Thiere.

Ihre fürchterlichen Scenen bestehen aus überhangenden Felsen, dunkeln Grotten und brausenden Wasserfällen, die von allen Seiten her von Felsen herunter stürzen. Dahin setzen sie krummgewachsene Bäume, die vom Sturm zerrissen scheinen. Hier findet man solche, die umgefallen mitten im Strohm liegen, und von ihm dahin geschwemmt scheinen. Dort sieht man andre, die vom Wetter zerschmettert und versengt scheinen. Einige Gebäude sind eingefallen, andre halb abgebrannt, und einige elende Hütten, hier und da auf Bergen zerstreuet, scheinen Wohnstellen armseeliger Einwohner zu seyn. Nach Scenen von dieser Art folgen insgemein wieder lachende – und die chinesischen Künstler wissen immer schnelle Abwechslungen und Gegensätze sich wechselsweise erhebender Scenen, so wol in den Formen als in den Farben, und im Hellen und Dunkeln zu erhalten. – –

Wenn der Platz von beträchtlicher Größe ist und eine Mannigfaltigkeit der Scenen erlaubet, so ist insgemein jede für einen besondern Gesichtspunkt eingerichtet; wenn dieses des engern Raumes halber nicht angeht, so suchen sie dem Mangel dadurch abzuhelfen, daß die Parthien nach den verschiedenen Ansichten immer andre Gestalten annehmen. Dieses wissen sie so gut zu machen, daß man dieselbe Parthie aus den verschiedenen Ständen, gar nicht mehr für dieselbe erkennen kann.

In großen Gärten bringet man Scenen, die sich für jede Tageszeit schiken, an, und führt an schiklichen Stellen Gebäude auf, die sich zu den verschiedenen jeder Tageszeit eigenen Ergötzlichkeiten schicken.

Weil das Clima in diesem Land sehr heiß ist, so sucht man viel Wasser in die Gärten zu bringen. Die kleinen werden, wenn es die Lage zuläßt, ofte fast ganz unter Wasser gesetzt, daß nur wenig kleine Inseln und Felsen hervorstehen. In großen Gärten findet man Seen, Flüsse und Canäle. Nach Anleitung der Natur werden die Ufer der Gewässer verschiedentlich behandelt; bald sind sie sandig und steinig, bald grün und mit Holz bewachsen; bald flach mit Blumen und kleinen Gesträuchen bekleidet, bald mit steilen Felsen besetzt, die Hölen und Klüfte bilden, in die sich das Wasser mit Ungestühm wirft.

Bisweilen trift man darin Fluhren, worauf zahmes Vieh weidet, an, oder Reisfelder, die bis in die Seen hineintreten, zwischen denen man in Kähnen herumfahren kann. An andern Orten findet man Büsche von Bächen durchschnitten, die kleine Nachen tragen. Ihre Ufer sind an einigen Orten dergestalt mit Bäumen bewachsen, daß ihre Aeste von beyden Ufern sich in einander schlingen, und gewölbte Deken ausmachen, unter denen man durchfährt. Auf einer solchen Fahrt wird man insgemein an einen intressanten Ort geleitet, an ein prächtiges Gebäude, etwa auf einem terraßirten Berg, an eine einsame Hütte auf einer Insel, an einen Wasserfall, an eine Grotte.

Die Flüsse und Bäche der Gärten nehmen keinen geraden Lauf, sondern schlängeln sich durch verschiedene Krümmungen; sind bald schmal, bald breit, bald sanft fließend, bald rauschend. Auch wächset Schilf und anders Wassergras darin. Man trift Mühlen und hydraulische Maschinen darauf an, deren Bewegung den Gegenden ein Leben giebt.

Die Gartenkunst scheinet so alt, als irgend eine andre der schönen Künste zu seyn.5 Die prächtigen Gärten der alten Stadt Babylon sind jedem bekannt, und Xenophon erwähnet in seiner Geschichte der zehentausend Griechen öfters der großen Lustgärten oder Paradiese, die sie in verschiedenen Provinzen des persischen Reichs angetroffen haben. Die [423] Griechen hatten zwar auch ihre Lustgärten, aber sie erscheinen in der Geschichte dieser Kunst nicht in dem Glanz, den die andern schönen Künste in diesem Land hatten. Die Römer aber scheinen alle Völker der Welt darin übertroffen zu haben. Allein sie haben die unschuldigste und angenehmste aller Künste auf eine ungeheure Weise gemißbraucht, wie Horaz ihnen auf eine sehr pathetische Weise vorwirft6. Sie schienen es darauf anzulegen, ganz Italien zu einem unfruchtbaren und blos zur Ueppigkeit dienenden Lustgarten zu machen. Wir können uns aber von der eigentlichen Beschaffenheit der römischen Gärten keine bestimmte Vorstellung machen.

In den neuern Zeiten ist diese Kunst wieder empor gekommen. Man sah unter Ludwig dem XIV einige schöne Gärten, die der berühmte Le Notre angelegt hat. Doch haben diese Gärten noch zu viel Kunst und Regelmäßigkeit. Gegenwärtig übertreffen die Engländer in dieser Kunst alle europäischen Völker. Die großen englischen Gärten sind Landschaften, darin keine Gattung der natürlichen Schönheit vermißt wird.

1S. Baukunst.
2Ep. I. 14.
3Designs of Chinese Buildings etc. by Mr. Cambers Architect London MDCCLVII gr. Fol.
4Points de vue.
5Antiquitas nihil potius mirata est, quam Hesperidum hortos ac regum Adonis et Alcinoi, itemque pensiles, sive illos Semiramis, sive Assyriæ rex Cyrus fecit. Plin. Hist. Nat. L. XIX. c. 4.
6Od. L.II. od. 15.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 421-424.
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