Gartenkunst

[315] Gartenkunst. Die Kunst, einen Garten sowohl zum Nutzen als auch zum Vergnügen, und dabei den Anforderungen des guten Geschmacks entsprechend, anzulegen und zu unterhalten. Die frühesten Spuren der Gartenkunst sind erst in den Zeiten der [315] Aufklärung, der Ruhe und der mildern Sitten aufzusuchen. Barbarische, im Stande der Wildheit lebende Völker, unruhige, stets unter den Waffen stehende Nationen können keinen Sinn und Geschmack für Lustgärten haben. Eben so begreiflich ist es, daß die verschiedenen Himmelsstriche und Klima's jedem Volke eine andere Gartenkunst vorschreiben, und daß hierin, wie in allen andern Dingen, sich der herrschende Geschmack der Nation und des Zeitalters ausspricht. Die Nachrichten, die wir von der Gartenkunst der Alten aus den frühern Zeiten des Morgenlandes haben, sind entweder nur aus Dichtern entlehnt, oder stammen von so unzuverlässigen Geschichtschreibern her, daß man sie nicht ohne Mißtrauen nacherzählen kann. Hierher gehören die Berichte von den babylonischen schwebenden oder hängenden Gärten, auch schwebende Gärten der Semiramis genannt, welche aus mehreren über einander geschichteten Erderhöhungen bestanden haben sollen. Historisch muß man die Römer als Gründer der Gartenkunst anerkennen, obgleich sie in der erstern Zeit mehr Werke des übertriebenen Luxus als des wahren guten Geschmacks lieferten (s. Gewächshäuser); und erst später, in friedlichern Zeiten unter Lucullus, entstanden die sogenannten Lustgärten mit kleinen Tempeln, Denkmälern, Lusthäusern verziert, mit Flüssen, Bächen und Gehölzen versehen. Die Gartenkunst des Mittelalters beschränkte sich hauptsächlich auf Blumenzucht, und aus der holländischen und flamändischen Geschichte geht hervor, daß schon im 12. Jahrhundert eine große Blumenliebhaberei dort herrschte. 1577 wurde der botanische Garten in Leyden angelegt, und 31 Jahre früher der in Padua. In Deutschland scheint die Gartenkunst bis zum 17. Jahrhundert wenig Fortschritte gemacht zu haben, obgleich in den Minne- und Meistersängern, z. B. bei Hans Sachs, häufig der Gärten mit Blumen, Fruchtbäumen, Lauben und Springbrunnen Erwähnung geschieht. Kaiser Maximilian I. liebte die Gärten sehr und trug Sorge, seine Schloßgärten in gutem Stand zu erhalten; auch läßt sich nachweisen,[316] daß einige Reichsstädte und fürstliche Residenzen lange vor dem 17. Jahrhundert Ziergärten gehabt, so wie mehrere Burgen Zwingergärten. Franzosen und Engländer, diese Vorbilder für das ganze übrige Europa, haben auch in der Gartenkunst Vorschriften und Beispiele zur Nachahmung gegeben. Erstere allerdings nicht zur Vervollkommnung des Schönheitssinns, da der französische, im 16. Jahrhundert vorherrschende Geschmack der Natur die beengendsten Fesseln anlegte, allen ästhetischen Sinn aus den Augen setzte, und sich statt seiner mit der steiffsten Regelmäßigkeit begnügte. Mehr verdanken wir den Engländern, deren klimatische Verhältnisse überdieß der Pflanzenzucht günstig sind. Im 17. Jahrhundert machte die Gartenkunst in England bedeutende Fortschritte durch Vervollkommnung und Veredlung der Gewächse, und Pope bewies durch seinen in Twickenham angelegten Garten, daß ein solcher weiter Nichts, als eine idealisirte schone Landschaft in einem beschränkten Raume sein sollte. Der erste, nach englischem Beispiel in Deutschland angelegte Garten (1750) befand sich zu Schwobber in Westphalen, unweit Pyrmont. Weil die Deutschen jedoch weder so viel überflüssiges Land, noch so große Summen wie die Engländer an ihre Lustgärten und Parks zu wenden haben, so findet sich diese Art von Gartenkunst bei ihnen nicht in demselben Grade ausgebildet, wenigstens trifft man bei ihnen nicht so viele Privatgärten in großem Stil. Dagegen stehen sie hinsichtlich der wissenschaftlichen Gartenkunst, d. h. was Anlage und Ausbildung botanischer Garten betrifft, auf einer hohen Stufe, und können vielen andern Nationen als Vorbild dienen.

L. M.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 4. [o.O.] 1835, S. 315-317.
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