Titus Vespasianus

[186] Titus Vespasianus, der würdige Sohn und Nachfolger des Vespasian (s. dies. Art.), geb. im J. 40 u. Chr. Geb. zeigte sich eben so wie sein Vater als einen der würdigsten, erhabensten Römischen Imperatoren. Dieß war um so bewundernswürdiger, da er zuvor, obgleich durch große Vorzüge des Geistes und Körpers ausgezeichnet, dennoch, umgeben von Wollüstlingen, durch Schwelgereien und regellose Sitten, selbst durch Härte als Befehlshaber der Leibwache, keineswegs zu großen Erwartungen von sich berechtiget hatte. Unter seinem Vater Tribun der Soldaten in Deutschland und Britanien, setzte er nachher, als jener (im J. 69) Römischer Kaiser ward, die Belagerung von Jerusalem fort. Wie bekannt, war dieß eine der schrecklich-denkwürdigsten Belagerungen. Die Halsstarrigkeit der belagerten Juden, durch bestochene [186] Propheten verführt, hatte die schrecklichste Hungersnoth zur Folge – eine Mutter sah man ihren eignen Sohn verzehren! – und Titus, dadurch noch mehr bewogen, die Eroberung zu beschleunigen, mußte, nach Bemächtigung der meisten Posten, an die Thore des Tempelvorhofs Feuer anlegen lassen. So erfolgte die gänzliche Einäscherung des Tempels, so wie überhaupt die fürchterlichste Ermordung, und der Ruin der ganzen so berühmten Stadt. Titus kam nach Rom zurück, und hielt mit Vespasian über Judäa den Triumph. Im Jahr 79 gelangte er nach seines Vaters Todte zum kaiserlichen Zepter; und zugleich mit dieser Thronerhebung ging auch in ihm eine seltene Veränderung vor. Die Verenice, des Jüdischen Königs Agrippa Tochter, mit welcher er vorher in den zärtlichsten Verhältnissen gestanden hatte, entfernte er, trotz seiner heftigen Liebe zu ihr, sogleich von seinem Hose; alle Ueppigkeiten und Schwelgereien mußten von seiner Tafel weichen; von Freunden wählte er nur, die seiner als Regent würdig waren, und Großmuth, Güte und Gerechtigkeit zeigten sich so sehr als Hauptzüge seines Charakters, daß er den Zunamen: Liebling des menschlichen Geschlechts als den schönsten, der je einem Fürsten zu Theil geworden, erhielt. Mit dem Antritte seiner Regierung bestätigte er alle von seinen Vorgängern gemachte Schenkungen und Privilegien. Sein Wort, das er als Pontifex Maximus gegeben hatte, seine Hände vom Bürgerblute rein zu halten, erfüllte er pünktlich, und kein Mensch wurde während seiner Regierung zum Todte verurtheilt. Gnade und liebreiche Behandlung waren meistens die Rache, die er den Verschwornen gegen sich – worunter selbst sein Bruder Domitian gehörte – widerfahren ließ. Kein Tag verging ihm, ohne Jemand Gutes erwiesen zu haben; und als er doch eines Abends sich erinnerte, daß keine Gelegenheit dazu vorhanden gewesen, brach er in die schönen, Fürsten so beherzigungswerthen, Worte aus: Diem perdidi! – ich habe einen Tag verloren! Als wahrer Vater seiner Unterthanen sorgte er auch für ihre Vergnügungen. Er erbaute eines der prächtigsten öffentlichen Bäder; das von seinem Vater angefangene berühmte Amphitheater vollendete er; [187] selbst mehreren aus dem Volke erlaubte er, jene Bäder, und zwar mit ihm zugleich, besuchen zu dürfen. Dennoch mußte diese so glückliche Regierung auch durch mehrere bedeutende Unglücksfälle ausgezeichnet werden. Der furchtbare Vesuv, welcher einen Theil von Campanien verheerte, und Herculanum und Pompeji verschüttete (s. Th. II. S. 191.), eine verheerende Pest und ein schrecklicher Brand in Rom, welcher unter andern das Theater des Pompejus, einen Theil des Capitols etc. verzehrte – das alles waren schreckliche Ereignisse, bei denen aber auch Titus seine Milde und Güte in glänzendem Lichte zeigte, und mit Aufopferung seines Privat-Vermögens Hülfe leistete, wo und wie er nur immer konnte. – Doch nur Zwei Jahre und Zwei Monate genossen die Römer das Glück einer solchen Regierung. Sein Tod erfolgte ganz unerwartet, als er auf einer Reise von einem Fieber überfallen wurde, an dem er auch bald darauf im 42. Jahre (81 n. Chr. Geb.) starb. Sein Todestag war ein Tag der Trauer fürs ganze Volk; jeder bejammerte den Todtesfall, als seiner Familie widerfahren, aufs wehmüthigste.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 186-188.
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