Orient

[349] Orient bedeutet die Himmelsgegend, wo die Sonne aufzugehen scheint und ist also mit Ost und Morgen (s.d.) gleich, daher nach der Theilung des röm. Reiches die östl. Hälfte desselben auch das orientalische Kaiserthum hieß. (S. Römisches Reich.) Den Orient oder die [349] Morgenländer nennt man ferner die von Europa östl. gelegenen Länder, namentlich das mittlere und südl. Asien, Arabien und Syrien, und orientalisch heißt daher so viel wie morgenländisch. Als die ältesten Sitze menschlicher Bildung haben die Morgenländer seit dem Wiederaufblühen der Wissenschaften die Aufmerksamkeit der Gelehrten zunehmend angezogen und die neueste Zeit vornehmlich hat sich dem Studium der morgenländ. oder oriental. Sprachen und dem Erforschen der zum Theil zahlreich vorhandenen Schriftdenkmale der Völker jenes Erdstriches oder der oriental. Literatur zugewendet. Aus ihr lernen wir nicht blos die frühern Zustände jener Völker und Länder kennen, sondern schöpfen auch zahlreiche Aufschlüsse über den Einfluß der morgenländ. Bildung auf die des Abendlandes und für allgemeine Sprachforschung wie für besondere Zwecke, wie z.B. die genauere Untersuchung des hebräischen Textes und der alten morgenländ. Übersetzungen des A. und N. T., sind jene Studien nicht minder wichtig geworden. Von mehren jener alten Völker, die verhältnißmäßig zahlreiche Schriftwerke besaßen, wie die Ägypter, Babylonier, Phönizier, haben sich indeß nur äußerst sparsame Bruchstücke erhalten; auch von den Schriften der alten Perser und Hebräer ist wenig mehr vorhanden, zahlreich dagegen ist die Literatur der Japaner, der Chinesen und indischen Völker, der Araber und Neuperser, die, wie die türkische, noch fortwährend vermehrt wird; viele andere Völker, die vordem eine eigne Literatur besaßen, sind theils mit andern verschmolzen, theils ganz verschollen. Nach Sprachen und Stämmen wird übrigens das weite Gebiet der morgenländ. Literatur in zahlreiche Äste und Verzweigungen geschieden, von denen noch ein beträchtlicher Theil sehr unzureichend gekannt ist, was auch von den asiat. oder orient. Sprachen gilt, obgleich der eigenthümlichen und vielen Schwierigkeiten ungeachtet die Erforschung derselben ausnehmend gewonnen hat. Besondere Lehranstalten für oriental. Sprachen und Literatur bestehen zu Paris, Wien, Petersburg, zu London und Hayleybury in England, zu Fort William in Ostindien; außerdem wird in der einen und andern auf allen deutschen Universitäten Unterricht ertheilt und fünf asiatische Gesellschaften zu London, Paris, Kalkutta, Bombay und Serampore, tragen ebenfalls wesentlich zur Erforschung der Sprache und Literatur der Morgenländer bei.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 349-350.
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