Gletscher

[446] Gletscher, so nennt man die Eisfelder und Schneebänke der Hochgebirge, die auf den Spitzen der Alpen thronen oder an Abhängen lehnend, in grausenhafte Abgründe hinabstarren. Sie bedecken allein in der Schweiz einen Flächenraum von 50 Quadrat Meilen und erreichen eine Dicke von 80–100, oft von 5–600 Fuß. Sie fangen im Sommer auf kurze Zeit an zu schmelzen, prangen dann in den glänzendsten Farben und gewähren den erhabenen Anblick von Eispalästen mitten in den Gluthen der Sonne Unter ihnen finden sich wunderbar glänzende Grotten und Höhlen, mit zahlreichen, nie versiegenden Quellen, aus welchen Wasserbäche in die Tiefe hinabstäuben. Das Schmelzen des Eises verändert ihre Größe; bald häufen sie sich, bald schieben sie sich in die Thäler hinab und werden an ihren morastigen Rändern (Morainen) unzugänglich. Oft brechen und bersten sie und stürzen in sich selbst mit Donnergetöse zusammen, oder glitschen plötzlich thalab, erregen heftige Schneegestöber (Gletschergebläse) und entsenden die furchtbaren und Alles zerschmetternden Lawinen (s. d.). Die Gletscher sind es, welche den Reisenden die Berge der Schweiz so gefährlich und oft unersteiglich machen, an welche der Alpenjäger, seine Beute zu hitzig verfolgend, mit blutenden Händen sich anklettet, oder auf denen er, allzugewagt dem täuschenden Eise trauend, einbricht und[446] in die tückischen Schlünde auf immer versinkt. Die schönsten und erhabensten Gletscher findet man in den Tiroler und Berner Alpen, am Gotthardt und in Savoyen. Reisende besuchen am leichtesten und ohne Gefahr das prachtvolle Eismeer (Mer de Glace) im Chamounythal unter den Gipfeln des Montblancs.

J.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 4. [o.O.] 1835, S. 446-447.
Lizenz:
Faksimiles:
446 | 447
Kategorien: