Reiher auch Reiger

[379] Reiher auch Reiger, ein Sumpfvogelgeschlecht, das viele bemerkenswerthe Species zahlt, Aehnlichkeit mit den Störchen hat, sich jedoch durch einen Schopf langer, zarter Federn am Hinterhaupte des Männchens wesentlich von diesen unterscheidet. Nur der gemeine graue Reiher ist in Deutschland heimisch, wo er den Teichen großen Schaden zufügt. Deßhalb sowohl, als um die besonders gesuchten Schopffedern zu gewinnen, stellt man dem R. fleißig nach, und im Mittelalter galt die Reiherbaize oder Jagd, die mit abgerichteten Falken betrieben wurde, für ein fürstliches Vergnügen, das selbst Könige und zarte Damen übten. Der Purpur-Reiher, dessen Unterleib diese Farbe zeigt, bewohnt Ungarn, kommt nur im Herbste bisweilen nach Deutschland und ist kleiner als der vorige. Im südöstlichen Europa gibt es den großen weißen Reiher, der 3½ F. lang wird, aber nicht mit dem schönsten von allen, dem türkischen oder indischen Silber-Reiher, Ardea egretta, verwechselt werden darf. Sein Beiname, egretta, bezeichnet ihn schon als den Vogel, dessen Schopffedern jene köstlichen Federbüsche oder Aigretten liefern, welche mit Edelsteinen gemischt am Turban morgenländischer Großen schwanken. Eine kleinere Art des Silber-Reihers ist Ardea garzetta, doch die kleinste des ganzen Geschlechts hat den häßlichen Namen Squakko und lebt in Mittelasien. Schön bunt von Gefieder erreicht er nur Krähengröße und ist der genaueste Gegensatz des sehr hohen brasilianischen Reihers oder Helmkranichs. Verschieden wie die Vögel selbst sind auch ihre Federn. Die schwarzen von der Insel Kandia werden in Europa am meisten geschätzt; im Oriente zieht man die weißen mit schwarzen Spitzen ihnen vor. Die silberweißen schmücken das Kaskett vornehmer Jägerinnen; blaugraue kommen viel aus Preußens wasserreichen Provinzen. Die hellgrünen sind gefärbt. Außer den Schopffedern, deren Länge von 1–3 Fuß steigend ihren Preis bestimmt, benutzt man auch die Reiher-Kuppe, d. h. Federn, die sich vereinzelt, doch bei weitem nicht so lang am Körper finden, zu Federstützen[379] beim Militair. Ein seltsamer Gebrauch der Vorzeit war das Reihergelübde. Fürst oder Schloßherr ließ bei fröhlichem Mahle, begleitet von Musik, durch Edelknaben, denen junge Fräulein mit brennenden Wachskerzen zur Seite gingen, den Reiherbraten auf silberner Schüssel herbeitragen. Er selbst legte zuerst die Hand auf den Rand der Schüssel und beschwor die Ausführung eines Vorhabens, bis wohin er sich irgend einer oft abenteuerlichen Sache zu unterziehen gelobte, wie z. B. einst ein englischer Ritter auf den Reiher versprach, sein rechtes Auge nicht eher wieder zu öffnen, bis eine gewisse kriegerische Unternehmung in Frankreich glücklich vollbracht sei. Die Gäste, sogar die Damen, folgten hierauf mit ähnlichen Gelübden.

F.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 8. [o.O.] 1837, S. 379-380.
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