Vasen

[298] Vasen. Von diesen schönen, kunstreich geformten Gefäßen[298] hat man bis jetzt eine große Menge in alten griechischen und römischen Grabmälern aufgefunden; jedoch niemals als Aschenkrüge, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach als Geschenke, die man den Todten mit in das Grab gab. Fast für gewiß kann man annehmen, daß die Alten mit ihnen eine Erinnerung an die mystischen Bacchusweihen verknüpften, sowie daß sie auch als Preise bei den Götterspielen vertheilt wurden. Vielen derselben finden noch zu gleich eine liebliche Erklärung in einer alten griechischen Sitte, die, sowie Alles, was der sein organisirte, sein empfindende, und seine Empfindungen in die lieblichsten Formen und Umrisse einkleidende Grieche angab, ganz das Gepräge griechischer Verfeinerung und Bildnerei an sich trägt. Damals blühte die freundliche Gewohnheit, schöne irdene Vasen mit den herrlichsten Zeichnungen und Gemälden auszuschmücken, und damit den Theil des Hauses zu zieren, welcher am meisten von Fremden gesehen und besucht wurde. Wahrscheinlich gab es in den reichen Städten Siciliens und des untern Italiens ganze Fabriken solcher Kunst- und Schmuckgefäße, in welchen Plastik und Malerei mit einander wetteiferten, um diesen Gefäßen die gefälligste Rundung, die schönsten Henkelwindungen und die zierlichsten Zeichnungen zu geben. Wollte man nun einem schönen Jüngling oder Mädchen seine Zärtlichkeit zu erkennen geben, so bestellte man sich bei einem Vasenkünstler ein Gefäß mit einem Gemälde, dessen Deutung der Geliebten leicht zu entziffern war, und machte ihr bei schicklicher Gelegenheit damit ein Geschenk. Daher stellen viele V. zärtliche Scenen dar; oft steht neben dem Namen der Geliebten das Wort: »schön.« Konnte es wohl, allen unsern feinparfümirten Billets doux zum Trotz, eine schönere und dauerndere Liebeserklärung geben als diese? und zugleich eine liebenswürdigere und zartere Sitte, als die, dem Todte noch diese süßen Pfänder mit in seine letzte Ruhekammer zu senken? Daher gewährt es nicht allein dem Kunstsinnigen, sondern Jedem, der Freude hat an den zarten Blüthen eines verfeinerten und dabei reinmenschlichen [299] Sinnes, ein unendliches Vergnügen, die vielen reichen Sammlungen von solchen irdenen oder auch aus einer ganz seinen, röthlichen Erdmasse gefertigten Gefäße zu mustern, die man gewöhnlich hetrurische oder hetruscische V. nennt, weil sie zuerst von toscanischen Gelehrten bekannt gemacht wurden. Und wie weit steht unsere Zeit zurück in diesem Kunstzweige, obgleich noch viele V. von Marmor, Sandstein, gegossenem Blei und Eisen, Blech, Holz und gebranntem Thon gemacht werden.

–r.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 298-300.
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