Wartburg

[388] Wartburg. Immer mehr in düstere Nebelferne verliert sich die romantische Zeit des Mittelalters, mit ihren Fehden, Turnieren und Minnesängern, Jahrhundert an Jahrhundert rollt sich auf, Geschlecht folgt auf Geschlecht, das Neue schlägt Wurzel auf den Grabstätten des Vergangenen, und nur hie und da mühen sich die stürmischen, nie rastenden Wogen der Zeit vergebens ab, die ehernen Zeugen einer kräftigen Generation mit fortzuschwemmen in das Meer der Vergessenheit. Aber auf hohen Bergen, den Wolken vermählt, das alterdüstere Haupt von Nebeln umhüllt, schaut noch manche jener Vesten, wo ehrsame Ritterfrauen den Rocken spannen, dem Ehegemahl die Rüstung anlegten, wenn er zur Fehde auszog, oder den Sieger in Turnieren mit dem Lorbeer schmückten, in das tiefe Thal auf die jungen Geschlechter. So auch die Wartburg bei Eisenach, erbaut 1069 von Ludwig dem Springer, bis 1406 die Residenz der Landgrafen von Thüringen, berühmt durch ihre Turn- und Ritterspiele im 13. Jahrhundert, berühmt durch den dort gekämpften Sängerkrieg (s. Ofterdingen) unter dem Landgrafen Hermann und seiner Gemahlin Sophie, so wie durch die unglückliche Landgräfin Margarethe (s. d), welche den Nachstellungen ihrer unwürdigen Nebenbuhlerin, Kunigunde von Eisenberg (s. d.), zu entgehen, das Schloß bei nächtlicher Weile verlassen mußte, unvergeßlich[388] durch den Aufenthalt Luther's daselbst, welchen Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, als er geächtet war, dorthin in Sicherheit bringen ließ, und welcher als Ritter Jörge vom 4. Mai 1521 bis zum 6. März 1522, hier Schutz und Muße fand zu seiner Bibelübersetzung, und endlich in neuerer Zeit 1817, durch das Wartburgfest, gefeiert von deutschen Studenten, eine neue Celebrität erlangend. Das Schloß gehört jetzt dem Großherzoge von Weimar, ist noch gut erhalten, hat noch eine Rüstkammer und mehrere Alterthümer, und dient theilweise als Zeughaus und Staatsgefängniß.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 388-389.
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