Schlaf

[285] Schlaf ist ein physiologisch-psychischer Zustand, der als Folge normaler Ermüdung zur Restauration des Organismus periodisch eintritt oder durch Langeweile, narkotische Stoffe, Gehirndruck m s. w. bewirkt wird. Physiologisch ist der Schlaf noch nicht genügend erklärt. Er beruht auf einer bedeutenden Herabsetzung der Gehirnfunctionen im Zusammenhang mit einer Blutleere des Gehirns und, psychisch, in einer Einengung des Bewußtseins, die dieses auf die Sehwelle der Bewußtlosigkeit hinabdrückt, in einem Pausieren der activen Motionen und aller activen Apperceptionsacte (s. d.), teilweise auch in einem Nachlassen der associativen und sensorischen Functionen: Tiefschlaf. dieser wird durch den Traum (s. d.) unterbrochen, welcher das (erst intermittierende, dann immer mehr zunehmende) Moment der Regeneration der Gehirnkräfte darstellt.

Die Peripatetiker erklären den Schlaf als Gebundensein der nicht-vegetativen Seelenkräfte (Eth. Eudem. 1219 b 22). Er ist nach STRATO eine[285] Zurückziehung der Seele (vgl. Tertull., De an. 43). Nach den Stoikern beruht er auf einer Schwächung der sinnlichen Kraft, der die Schwächung des seelischen Pneuma (s. d.) zugrunde liegt (Plac. Dox. 436 a 9 f.). Ähnlich GALEN (IV 439), PLUTARCH erklärt den Schlaf aus einer Absonderung der Seele vom Leibe (Mor. V, 727). – Nach CAMPANELLA beruht der Schlaf auf einem Zurückgehen der empfindenden Seele in das Innere (De sensu rer. II, 7. vgl. L. VIVES, De an. II, 107 f.. GASSENDI, Philos. Epic. synt. II, sct. III, 26).

Nach G. E. SCHULZE wird das Cerebralsystem durch die geistige Tätigkeit nach einer gewissen Zeit »so erschöpft, daß ihm eine Wiederherstellung seiner Kräfte durch die Ruhe im Schlafe unentbehrlich wird« (Psych. Anthropol. S. 268). Die Erklärung des Schlafes aus der Abnahme der Lebensgeistes oder aus einem verminderten Blutzufluß nach dem Gehirn ist nicht genügend befriedigend (l. c. S. 270). Im Schlafe scheint das Bewußtsein nicht ganz zu schwinden (l. c. S. 273). – ESCHENMAYER erklärt: »Nur das Seelenorgan schlummert, die Seele nie« (Psychol. S. 223). Nach SCHUBERT eilt im Schlafe die Seele den »jenseitigen Regionen« zu (Gesch. d. Seele, § 20. Lehrb. der Menschen- u. Seelenk. S. 53 ff.). Nach CHR. KRAUSE ist das Schlafleben das reinste Seelenleben des Geistes (Anthropol. S. 272, ähnlich LINDEMANN und AHRENS. Ähnlich FORTLAGE (Vorles. S. 36), J. H. FICHTE (Anthropol. S. 418). Der Schlaf ist »nicht bloß Ruhe des Geistes durch negative Anstrengungslosigkeit, sondern Ausheilung, positive Herstellung desselben von der zerstreuenden Verbreitung über die verschiedensten Gegenstände und die rasch wechselnden Interessen des Wachens« (Psychol. I, 513, vgl. S. 533). – Nach HEGEL ist der Schlaf eine in sich gerichtete Bewegung des Selbstgefühles. Nach J. E. ERDMANN ist er ein Zurücksinken auf die Stufe des embryonalpflanzlichen Lebens (Gr. d. Psychol. § 28), des bloßen »Selbstgefühls« nach DAUB, SCHALLER, MICHELET (Anthropol. S. 163 ff.), MUSSMANN, SCHLEIERMACHER (Psychol. S. 348 ff., 360, 514), C. G. CARUS (Vorles. S. 275), u. a.. vgl. ULRICI (Leib u. Seele S. 380). Nach BENEKE beruht der Schlaf auf einem Mangel, einem Verbrauch aller unerfüllten sinnlichen Vermögen (Lehrb. d. Psychol.3, § 314. Pragm. Psychol. II, 383 ff.). – Auf ein Aussetzen der Apperception (s. d.) führt den Schlaf psychologisch WUNDT zurück (Grdz. d. phys. Psychol. II, 437 ff.). Auch KÜLPE (Gr. d. Psychol. S. 467 ff.). Vgl. LOTZE, Med. Psychol. S. 467 ff.. LÉLUT, Mémoire sur le sommeil, les songes et le somnambulisme, 1852. A. MAURY, Le sommeil et les rêves, 1878. RABIER, Psychol. p. 654 ff.. SCHMIDKUNZ, Suggest. S. 66 ff.. H. SPITTA, Die Schlaf- und Traumzustände der menschl. Seele2, 1883. SPLITTGERBER, Schlaf u. Tod, 1881. RADESTOCK, Schlaf u. Traum, 1879. VOLKMANN, Lehrb. d. Psychol. I4, 397 f. Vgl. Traum.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 285-286.
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