Fortgang des Kriegs. Versuch der Wiederherstellung des attischen Reichs. Aufstand des Euagoras

[249] Da der Friede nicht zu erreichen war, blieb Sparta nichts übrig, als wohl oder übel den fast völlig zum Stillstand gelangten Krieg wieder aufzunehmen. Im Frühjahr 391 brach Agesilaos zunächst verheerend in das Gebiet von Argos ein, unbekümmert um den heiligen Monat; dann eroberte er, vermutlich auf Lechaion gestützt, die von Athen wiederhergestellten Schenkelmauern aufs neue. Gleichzeitig gewann sein Bruder Teleutias als Nauarch (sein Vorgänger Podanemos war in einem Gefecht gefallen) mit 12 Schiffen das Übergewicht im Korinthischen Golf. Im nächsten Jahr 390 ging Agesilaos zum Angriff auf den Isthmos vor. Die argivisch-korinthische Gemeinde feierte gerade die Isthmien; Agesilaos zersprengte die Versammlung und ließ das Fest durch die korinthischen Exulanten abhalten – später haben die Argiver es dann noch einmal wiederholt. Darauf nahm er den Hafen Peiraion (o. S. 244) und plünderte den letzten, bisher noch vom Kriege verschonten Rest des korinthischen Gebiets; von den Gefangenen wurden die, welche an dem Massaker in Korinth (o. S. 243) teilgenommen hatten, den Exulanten zur Aburteilung übergeben, die übrigen verkauft. Agesilaos konnte hoffen, Korinth alsbald wiederzugewinnen. Die Böoter, des Krieges längst überdrüssig und jetzt unmittelbar von einer Invasion bedroht, begannen aufs neue Unterhandlungen. Da erhielt der König die Kunde von einer schweren Schlappe, die gleichzeitig in seiner nächsten Nähe die spartanische Besatzung von Lechaion betroffen hatte. Hier war eine Mora Hopliten und eine Mora Reiterei stationiert. Während die übrigen Peloponnesier vor den Peltasten des Iphikrates großen Respekt hatten und bei ihren Streifzügen keinen Kampf wagten, [250] hatten die Spartaner in blindem Vertrauen auf ihre taktische Überlegenheit ihnen bei jeder Gelegenheit ihre Geringschätzung bezeigt, und auch die Peltasten hatten sich bisher noch nicht an sie herangewagt. So marschierte auch jetzt der Polemarch von Lechaion mit seinen Hopliten unbesorgt unter den Mauern von Korinth vorbei. Die Korinther aber hatten zum Schutz gegen Agesilaos nicht nur Iphikrates, sondern auch die attischen Bürgerhopliten unter Kallias herangezogen; und beide Feldherrn haben die sich bietende Gelegenheit mit Geschick ergriffen. Kallias stellte die Hopliten in Schlachtordnung; Iphikrates aber warf sich auf die Mora. Gegen seine raschen Angriffe waren die Spartaner wehrlos; wenn die Mannschaften der jüngeren Jahrgänge einen Ausfall machten, zogen sich die leichter beweglichen Peltasten unter den Schutz der Hoplitenphalanx zu rück und warfen sich dann, wenn die Verfolger den Rücken wandten, mit erneuter Kraft auf sie. Allmählich wurden die Verluste der Spartaner immer größer; den Peltasten konnten sie mit ihren kürzeren Speeren nicht viel anhaben; auch die Reiterei, die jetzt eintraf, konnte das Gefecht nicht wiederherstellen. Schließlich wurden sie auf einen Hügel am Meer gedrängt und von hier wenigstens ein Teil auf Kähnen nach Lechaion gerettet. 250 Mann, fast die Hälfte der Mora, waren gefallen (Hochsommer 390)458.

So empfindlich der Verlust an Mannschaften für Sparta war, schwerer wog der moralische Eindruck des Ereignisses459. Wieder [251] einmal war gezeigt worden, daß auch die Spartaner im offenen Felde nicht unbesiegbar waren. Überall erhob sich die Opposition zu neuen Hoffnungen. Namentlich in Mantinea konnte man jederzeit den offenen Abfall gewärtigen; insgeheim wurde Argos von hier mit Getreide unterstützt, und mehrfach weigerte die Stadt die Heeresfolge. Die Böoter brachen die Friedensverhandlungen ab; zu einem tatkräftigen Eingreifen in den Krieg haben sie sich freilich doch nicht wieder aufgerafft. Agesilaos konnte an weiteres Vordringen nicht mehr denken, sondern führte sein Heer nach Hause zurück. Die von den Spartanern besetzten Kastelle im Isthmosgebiet wurden der Reihe nach von Iphikrates genommen; nur Lechaion haben sie behauptet. Von einem neuen Angriff auf Argos sah man ab und ließ sich den von diesem verkündeten Gottesfrieden aufs neue gefallen. Agesilaos begnügte sich, im nächsten Jahre den Achäern zulieb die Akarnanen, welche die mit jenen verbündete Ätolerstadt Kalydon angegriffen hatten, mit Krieg zu überziehen und ihr Land zu verheeren460. Die Athener sandten eine Flotte in den Golf, konnten aber in den Kampf nicht eingreifen; die Böoter hielten sich vollkommen passiv. So bequemten sich die Akarnanen im J. 388 zum Frieden und traten in die Bundesgenossenschaft Spartas ein. Im Peloponnes dagegen herrschte tatsächlich Waffenruhe; selbst im Gebiet von Korinth ist es während der letzten dreieinhalb Jahre des Krieges zu ernsthaften Gefechten nicht mehr gekommen. Wohl aber überwarf sich Iphikrates bald nach seinem Erfolge mit den Korinthern; er wollte die Stadt für Athen gewinnen und schritt gegen die Anhänger von Argos ein, worauf die Korinther ihn abwiesen. So kehrte er 389 mit dem Hauptteil seiner Peltasten nach Athen zurück (u. S. 262); die Athener begnügten sich fortan wie die Böoter, ein kleines Kontingent unter Chabrias zum Bundesheer zu stellen461.

[252] Inzwischen hatte Sparta auch den Seekrieg wieder aufgenommen; die von Tiribazos an Antalkidas gezahlten Gelder gewährten dazu die Mittel. Zunächst wurde Thibron, der, als Sparta die idealistische Politik als undurchführbar aufgegeben hatte, aus dem Exil (o. S. 186) zurückgerufen war, mit einem kleinen Heer nach Kleinasien geschickt. Ephesos trat aufs neue zu Sparta über und wurde nochmals, wie in Lysanders und Agesilaos' Zeit, der Stützpunkt seiner Operationen. Thibron gewann Priëne, Magnesia und andere Orte und brachte seine Streitmacht auf 8000 Mann, mit denen er in alter Weise, sorglos im vollen Gefühl seiner taktischen Überlegenheit, das Feindesland verheerte. Dadurch wurde es Struthas möglich, ihn mit der persischen Reiterei zu überfallen und seine Truppen fast völlig zu vernichten; Thibron selbst war unter den ersten, die niedergehauen wurden (391 v. Chr.)462. Die Reste sammelte der neue Nauarch Ekdikos, der mit 8 Schiffen in Ephesos eintraf; Diphridas, der ihn als Kommandant des Fußvolks begleitete, schirmte die Städte463 und gewann bei vorsichtig ausgeführten Überfällen genügend Beute, um seine Söldner zahlen zu können464. Weitere Aussichten eröffneten sich zur See: Samos, Knidos und andere Städte traten wieder zu Sparta über; auf Rhodos erhoben sich die Aristokraten in blutigem Kampf gegen den Demos und riefen Sparta um Hilfe an465. Auf die Dauer konnten sie sich allerdings in [253] der Stadt nicht behaupten, sondern mußten sich in ein Kastell auf dem Lande zurückziehen. Aber im allgemeinen war die Sache Spartas im Fortschreiten; Ekdikos konnte mit seiner kleinen Seemacht wie ehemals Peisandros bei Knidos Stellung nehmen, wenn er auch gegen die rhodische Übermacht nichts auszurichten vermochte. Im Sommer 390 ernannten die Spartaner den Teleutias, der inzwischen das Kommando im Korinthischen Golf behalten hatte, aufs neue zum Nauarchen – das Verbot, dieses Amt wiederholt zu bekleiden, war offenbar inzwischen aufgehoben; nur die direkte Kontinuierung durch mehrere Jahre hintereinander scheint man nicht zugelassen zu haben – und sandten ihn mit seinen 12 Schiffen, die jetzt bei der Ohnmacht Korinths in Europa nicht mehr gebraucht wurden, nach Knidos. Durch Zuzüge aus Samos brachte er seine Flotte auf ganze 27 Schiffe, mit denen er, unterstützt von den Aristokraten, dem Demos von Rhodos mancherlei Abbruch tun konnte466.

Die Perser haben seit dem Sommer 393 zur See nichts mehr unternommen. Die Flotte, die bei Knidos gesiegt hatte, hatte sich aufgelöst, teils weil die Perser nach ihrer Gewohnheit kein Geld hergaben, teils wohl infolge der Schwenkung des Tiribazos von Konon und Athen zu Sparta. Pharnabazos ist fortan wieder auf seine Provinz beschränkt, wo er indessen des Derkylidas in Abydos so wenig Herr werden kann wie der noch von Sparta behaupteten Städte am Bosporos. Auch Struthas hat den Seekrieg nicht wieder [254] aufgenommen. Konon war aus dem persischen Gewahrsam entflohen, aber mit seiner Admiralstellung war es vorbei; er ging zu Euagoras, wo er bald darauf erkrankte und starb467. Inzwischen aber war Euagoras auf Cypern eifrig tätig gewesen, sich den Gewinn zu sichern, um dessentwillen er Persien in den Seekrieg getrieben und die Wiederherstellung Athens gefördert hatte; er lag jetzt im Kriege mit Kition, Soli und Amathus. Diese wandten sich um Hilfe an ihren Oberherrn, und am Hofe von Susa erkannte man, wie bedenklich es sei, den griechischen Fürsten noch weiter gewähren zu lassen. Artaxerxes sandte dem Satrapen von Sardes, Autophradates, und dem von Karien, Hekatomnos (o. S. 247), Befehl, Heer und Flotte auszurüsten und den bedrängten Städten zu Hilfe zu kommen (390 v. Chr.)468. Die Folge war, daß Euagoras sich nach Athen wandte mit der Forderung, ihm jetzt den Dank für seine Taten abzustatten. So erschöpft Athen war, es konnte das Gesuch nicht abweisen; der Staat versprach 10 Trieren; die Anhänger Konons, voran Aristophanes, der Sohn des nach Cypern zurückgekehrten Nikophemos, streckten seinen Gesandten Geld vor zur Anwerbung von Peltasten und zum Ankauf von Waffen469. [255] Außerdem schlossen beide Staaten ein Bündnis mit dem König von Ägypten, jetzt Akoris, dem Sohne des Nepherites I. (u. S. 305)470. Die natürliche Gruppierung der Mächte begann sich wiederherzustellen. Besonders sinnfällig trat der Widersinn der momentanen Situation hervor, als Teleutias, wahrscheinlich zu Anfang des Frühlings 389, die 10 athenischen Schiffe unter Philokrates sämtlich abfing, die dem Feinde der Macht Hilfe bringen sollten, gegen die er selbst gleichfalls Krieg führte.

Athen hatte den Frieden abgelehnt; aber die Fortführung des Krieges hatte ihm bisher nur Lasten und nicht den geringsten Gewinn gebracht. Die griechische Koalition war am Zerfallen, das Verhältnis zu Argos und Korinth äußerst gespannt, Böotien gänzlich untätig, von Persien kam keinerlei Unterstützung mehr; und dazu sollte man jetzt noch Euagoras Hilfe leisten. Noch trauriger womöglich sah es im Innern aus. In den Finanzen herrschte nach wie vor vollständige Ebbe, so daß man es sogar einmal mit der Einführung von Kupfergeld versuchte, das aber bald wieder außer Kurs gesetzt wurde. Die Steuerschraube wurde aufs äußerste angespannt, neben den Vermögenssteuern neue indirekte Abgaben vorgeschlagen; und doch reichte, was einkam, kaum aus, um die Söldner in Korinth zu zahlen. So faßte man wohl die schönsten Beschlüsse, aber zur Ausführung kam keiner; an die Neuschöpfung einer Flotte war nicht zu denken471. Wohl aber jagte ein Prozeß den anderen, und regelmäßig lautete das Urteil auf Tod und Konfiskation des Vermögens: »wenn ihr den Angeklagten nicht verurteilt, [256] ist kein Geld da für die Diäten«, deklamierte Epikrates bei jeder Gelegenheit (Lys. 27, 1) nach bewährtem Muster. Gegen jeden Politiker, gegen Thrasybul so gut wie gegen den elendesten Demagogen, erhob sich der Vorwurf des Unterschleifs und der Bestechung; und wenn sich nach der Verurteilung die erwarteten Schätze nicht vorfanden, so hatten offenbar seine Verwandten und Freunde das Geld unterschlagen, und der Prozeßkrieg ging fröhlich weiter. Die Plädoyers, die Lysias in dieser Zeit geschrieben hat, gehören zu den widerwärtigsten Erzeugnissen aller Literatur, würdig des französischen Revolutionstribunals und nur um so ärger, weil sie mit geistreichem Raffinement abgefaßt sind. Jeder Sinn für Recht und Gesetz ist diesen Menschen abhanden gekommen; offen kann gefordert werden – z.B. in dem Prozeß des Epikrates (Lys. 27), der es allerdings ebenso gemacht hatte –, daß die Richter, wenn sie gerecht verfahren wollen, den Angeklagten überhaupt nicht anhören dürfen. Die Radikalen in der restaurierten Demokratie waren in der Tat die würdigen Nachfolger der Demagogen des Peloponnesischen Kriegs, ebenso unfähig wie gewissenlos. Zugleich aber offenbart uns dieses Treiben die volle Ohnmacht aller griechischen Verhältnisse, die mit den hohen Phrasen, die man im Munde führt, aufs kläglichste kontrastiert. Nur der Schwäche der Feinde verdankte es Athen, daß es nicht aufs neue, und diesmal ohne jeden Ruhm, den Gegnern erlag.

Jetzt aber schien dieser Moment nicht mehr fern. Wenn Sparta zur See weitere Fortschritte machte, wenn es Teleutias gelang, Rhodos zu gewinnen, mußte Athen kapitulieren wie im J. 404. Da hat Thrasybul durchgesetzt, daß es sich noch einmal aufraffte. Bei den Friedensverhandlungen hatte er, wie es scheint472, sich nicht ablehnend verhalten; jetzt aber stellte er den Athenern vor, daß sie, wenn sie nicht auf den Krieg verzichten wollten, versuchen müßten, die alte Seeherrschaft wieder zu erlangen; auch seien die Aussichten günstig genug, falls sie mit genügender Macht aufträten. So setzte er durch, daß ihm 40 Trieren bewilligt wurden [257] – mehr konnte Athen zur Zeit neben den 10 nach Cypern gesandten Schiffen auch bei äußerster Anspannung des Steuerdrucks nicht aufbringen. An der Spitze dieses Geschwaders ging er, von einer Anzahl ihm befreundeter Strategen begleitet, im Frühjahr 389 in See, zunächst mit dem Auftrag, den rhodischen Demokraten Hilfe zu bringen. Statt nach Rhodos wandte er sich aber nach dem alten Schauplatz seines Ruhms, nach Thrakien und dem Hellespont. Er hatte vollen Erfolg. Eine Stadt nach der andern verjagte die spartanischen Harmosten und die Oligarchen und trat zu ihm über, Thasos, Samothrake, die Ortschaften der Chersones, sodann Byzanz und Chalkedon. Pharnabazos unterstützte ihn; den Odrysenkönig Amadokos versöhnte er mit seinem an der Propontis mächtigen Vasallen Seuthes (o. S. 182) und stellte das alte Verhältnis Athens zu dem thrakischen Reich wieder her. Dann ging er nach Lesbos, wo bisher nur Mytilene zu Athen hielt, verstärkte sein Landungsheer von 400 Hopliten durch die Truppen von Mytilene und die Flüchtlinge aus den übrigen Städten, besiegte und erschlug den spartanischen Harmosten von Methymna, Therimachos, und gewann die ganze Insel. Chios und die Kykladen standen schon seit 394 mit Athen im Bündnis, ebenso Rhodos, während Samos, Knidos und wohl auch Kos zu Sparta zurückgetreten waren; jetzt schlossen sich weitere Orte an der Küste an, so der Demos von Klazomenä, der in alter Weise mit den Aristokraten, die sich in Chyton auf dem Festlande behaupteten, in ununterbrochener Fehde lag. Halikarnass wurde von Thrasybuls Kollegen Ergokles besetzt. Überall stellte Thrasybul die Verhältnisse des alten attischen Reichs wieder her; die Aristokratien wurden durch Demokratien ersetzt, die fünfprozentige Bundessteuer, die 413 an Stelle der Tribute getreten war, wieder eingeführt, dazu andere Abgaben und Kontributionen erhoben; an die Stelle der spartanischen Harmosten traten, wo es nötig war, athenische Kommandanten und Besatzungen; im Bosporus wurde der von Alkibiades eingeführte Sundzoll von 10% aller durchpassierenden Waren wiederhergestellt473. Bis freilich diese Maßregeln Ertrag brachten, mußte [258] geraume Zeit vergehen; einstweilen sah sich Thrasybul, um seine Flotte zu erhalten, wesentlich auf freiwillige Beiträge und Erpressungen und auf Raubzüge in Feindesland angewiesen474.

In Athen haben Thrasybulos' Erfolge die höchsten Erwartungen erregt; schon sah man im Geiste die alte Herrlichkeit wiederkehren. Die Kömodie, die Aristophanes Anfang 388 auf die Bühne brachte, schloß mit dem Einzug des Gottes des Reichtums in seine alte Wohnstätte, den Opisthodomos auf der Burg. Aber man hatte sich verrechnet. Was man ersehnte, war nicht Macht, sondern Geld; und das kam nicht ein. Die von Thrasybul neu erschlossenen Einnahmen wurden von der Flotte verschlungen, die erhobenen Steuern wurden nicht ersetzt, die Schiffe verbraucht, die Kräfte seiner Mannschaften stark in Anspruch genommen. Man [259] war tatsächlich nicht weiter als in den letzten verzweiflungsvollen Jahren des vorigen Krieges, nur daß die Flotte nur noch etwa halb so stark war und daß die Bürgerschaft die Kraft verloren hatte, sich zu so heroischen Entschlüssen aufzuraffen wie damals. Dazu hatten die Spartaner das wirksamste Gegenmittel ergriffen. Bisher hatten die Ägineten, seit 404 wieder im Besitz ihrer alten Heimat, sich neutral gehalten, um sich nicht noch einmal der Gefahr der Vernichtung auszusetzen; jetzt aber sandten die Ephoren den Eteonikos, den alten Genossen des Kallikratidas und Lysander, nach der Insel und eröffneten einen Kaperkrieg gegen Attika selbst und den attischen Handel475. Die Athener suchten sich zu wehren, so gut es ging; sie schickten Pamphilos mit 10 Schiffen nach Ägina, und dieser setzte sich auch in der Nähe der Stadt fest. Aber der Nauarch Teleutias kam von Rhodos herüber und verjagte seine Schiffe476. Sein Nachfolger Hierax ließ dann, als er im Spätsommer 389 nach Rhodos ging, seinen Adjutanten Gorgopas mit 12 Trieren bei Ägina zurück, und dieser zwang die Athener, die Insel zu räumen, und setzte darauf den Piratenkrieg energisch fort. Gleichzeitig kamen aus den bundesgenössischen Städten und von den Parteigängern Athens Klagen über die von Thrasybul und seinen Genossen verübten Grausamkeiten und Erpressungen; und die Demagogen daheim erklärten, daß die Feldherrn die gewaltigen Summen, die sie eingenommen haben müßten, selbstverständlich in die eigene Tasche gesteckt hätten. Dazu kam das Mißtrauen des gemeinen Mannes gegen Thrasybul; als echte Demokraten fühlten die Athener sich verletzt, weil Thrasybul, der letzte Repräsentant der alten Zeit, sich für besser hielt als das Gesindel. So absurd es klingt, sie waren des Glaubens, in dem Manne, der zweimal Athen aus den Händen der Oligarchen gerettet hatte, stecke ein zweiter Dionysios. So wurde der Beschluß gefaßt, ein Verzeichnis aller von den Städten erhobenen Gelder aufzustellen und Thrasybul und seine Kollegen zur Rechenschaftslegung nach [260] Athen zu rufen. Im Lager Thrasybuls war die Entrüstung groß; Ergokles forderte ihn auf, mit der Flotte Byzanz zu besetzen und sich mit Seuthes zu verbinden und so das sykophantische Gesindel zu Paaren zu treiben. So weit wollte freilich Thrasybul nicht gehen; aber er ignorierte den Beschluß und zog mit der Flotte nach Pamphylien, um auch hier Gelder beizutreiben. Hier ist er bei einem Raubzug seiner Soldaten von den Aspendiern des Nachts überfallen und erschlagen worden (388 v. Chr.)477. So ruhmlos sein Tod war, er hat ihn der traurigen Alternative überhoben, entweder zum dritten Male die Waffen gegen die Regierung seiner Heimat zu tragen, diesmal aber gegen die von ihm selbst begründete Demokratie, oder sich den attischen Gerichten zu stellen. Nach seinem Tode brach der Prozeßkrieg aus, und die Demagogen konnten die wüstesten Orgien feiern478. Pamphilos kam mit einer schweren Geldstrafe davon; Ergokles, und vielleicht auch andere seiner Kollegen, wurde zum Tode verurteilt479, ebenso die Gesandten Nikophemos und Aristophanes auf Cypern (o. S. 255), denen man das Urteil sandte, ohne ihnen die Möglichkeit der Verteidigung zu gewähren. Als sich dann in dem Nachlaß der Hingerichteten die erwarteten Summen nicht fanden, wurden ihre Verwandten und Freunde mit weiteren Prozessen verfolgt480.

[261] Das Kommando der Flotte übernahm der große Volksbeglücker Agyrrhios481. Taten hat er nicht aufzuweisen; er wird versucht haben, gegen den spartanischen Nauarchen Hierax bei Rhodos die See zu behaupten. Inzwischen machten die Spartaner den Versuch, die verlorenen Positionen im hellespontischen Bezirk wieder zu gewinnen. Sie schickten den Anaxibios (o. S. 180) mit 3 Trieren und 1000 Söldnern dem Derkylidas, der sich in Abydos behauptete, zu Hilfe. Zunächst hatte Anaxibios im Piratenkriege und zu Lande im Idagebiete manchen Erfolg. Aber die Athener sandten Iphikrates, der inzwischen von Korinth heimgeschickt war (o. S. 252), mit 1200 Peltasten und 8 Schiffen, und diesem gelang es, in einem Engpaß bei Abydos die Feinde zu überfallen. Anaxibios selbst fiel im Kampfe, mit ihm 250 Mann; die Spartaner waren wieder auf Abydos beschränkt. Sonst konnte freilich auch Iphikrates nicht viel anderes tun, als das herkömmliche Erpressungssystem fortzusetzen482. Inzwischen verhielten sich die Hauptflotten untätig in den Gewässern von Rhodos und Ephesos. Erst Anfang 387 traf der Spartaner Nikolochos mit 25 Schiffen in Abydos ein. Da erhielt auch Iphikrates Zuzug unter Diotimos; mit 32 Trieren konnte er von der Chersones aus Abydos angreifen und in arge Bedrängnis bringen. – Währenddessen war der Seekrieg bei Ägina weitergegangen: Eunomos, dem die Athener die Deckung ihrer Küsten übertrugen, konnte mit seinen 13 Schiffen – das war alles, was Athen in seiner Not noch aufbringen konnte – gegen Gorgopas und die peloponnesischen Kaper wenig ausrichten; ja schließlich wurde er bei Nacht von Gorgopas an der Küste beim Vorgebirge Zoster überfallen und verlor 4 Schiffe483. Athen geriet in arge Bedrängnis; die Getreidezufuhr nach dem Piräeus war schwer behindert, so daß während des Winters 388/7 in der Stadt Teuerungspreise484 [262] herrschten. Erst im nächsten Frühjahr bekam die Stadt wieder Luft. König Euagoras hatte ein neues Hilfsgesuch nach Athen gesandt, und dies schickte ihm den Chabrias, der bisher bei Korinth stand (o. S. 252), mit 800 Peltasten und 10 Schiffen. Chabrias war als Kriegskünstler dem Iphikrates ebenbürtig. Er setzte sich bei Nacht auf Ägina in einer Felsschlucht fest; am nächsten Tage landete ein athenisches Hoplitenheer unter Demainetos, und als nun Gorgopas mit den Ägineten und der Schiffsmannschaft herbeieilte, wurde er von zwei Seiten gepackt. Er selbst fiel, und mit ihm die 8 Spartiaten, die er bei sich hatte, und etwa 350 Mann seines Heeres. Die Schlappe auszugleichen fehlte es den Spartanern an Geld; die Matrosen, die nicht bezahlt wurden, weigerten sich, die Schiffe zu besteigen. So hatte Athen die See wieder frei. Chabrias ging zu Euagoras. Der geplanten persischen Rüstung war es gegangen wie gewöhnlich; zu einem ernsthaften Angriff kam es überhaupt nicht, zumal Hekatomnos485, von ehrgeizigen Absichten erfüllt, insgeheim den Rebellen begünstigte. So konnte Euagoras mit Chabrias' Hilfe fast die ganze Insel bis auf Kition erobern486.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 51965, Bd. 5, S. 249-263.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 5-8

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 5-8

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

554 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon