Beziehungen zu Persien und zum Westen. Verlust von Thurii

[729] Mit dem Perserreich hat Athen den Frieden gewahrt. Falls der Libyerfürst Psammetich mit seiner Getreidesendung im Jahr 445 (o. S. 665, vgl. S. 711, 1) Athen zu einer neuen Expedition nach Ägypten zu verlocken hoffte, so hat er seinen Zweck nicht erreicht, mochten auch die radikalen Heißsporne auf eine Erneuerung des Unternehmens hindrängen913. Als Zopyros, der Sohn des Megabyzos (o. S. 711), nach dem Tode seines Vaters von dem Großkönig abfiel und in Athen Zuflucht suchte, hat man ihn zwar aufgenommen und ihm angeblich auch Truppen gegeben, mit denen er von Kaunos aus versucht zu haben scheint, sich in Karien festzusetzen – eine derartige Unterstützung eines Rebellen war ebensowenig ein Friedensbruch wie Pissuthnes' Eintreten für die [729] flüchtigen Samier –, aber das Unternehmen fand bald darauf durch den Tod des Zopyros sein Ende914. – Je weniger es möglich war, im Osten und in Griechenland Eroberungen zu machen, desto mehr richteten sich die Augen der Radikalen auf den Westen. Sie begehrten Krieg und rücksichtslose Erweiterung der attischen Macht; hier, in Italien und namentlich auf Sizilien, schienen die Verhältnisse günstig zu liegen. Daß Athens Macht selbst Syrakus weitaus überlegen war, war kein Zweifel; überdies durfte man bei den scharfen Gegensätzen, die hier herrschten, mit Sicherheit auf einheimische Unterstützung rechnen. Verlief das Unternehmen günstig, so konnte Athen selbst dem mächtigsten Rivalen der Griechen, Karthago, entgegentreten und auch hier die nationale Aufgabe zum ruhmreichen Ende führen. Wenn das gelang, so schien kein Zweifel, daß man alsdann mit den Feinden daheim leicht fertig werden könne. Daß diese inzwischen Athen in den Arm fallen würden, war kaum zu besorgen; und überdies hatten, so meinte man, die letzten Kriege genügend bewiesen, daß sie gegen Athen, seit es sich auf die Seemacht beschränkt hatte, nicht das mindeste ausrichten konnten.

Perikles ist diesen Aspirationen energisch entgegengetreten. Größere Unternehmungen, die unabsehbare Verwicklungen herbeiführen mußten, auch wenn sie zunächst Erfolg hatten, hielt er nach den Erfahrungen, die er gemacht hatte, mit vollem Recht für verhängnisvoll. Dagegen lag kein Grund vor, hier wie im Pontos kleinere Erfolge nicht zu nehmen, wenn sie sich boten. Als die Ambrakioten aus dem Amphilochischen Argos ihre Mitbewohner, denen sie sich aufgedrängt hatten (o. S. 565), verjagten und die Amphilocher sich mit den Akarnanen zusammen an Athen wandten, hat dies die Hilfe nicht versagt. Phormio er schien mit 30 Schiffen im Golf von Ambrakia; Argos wurde erobert, die [730] gefangenen Ambrakioten verkauft, die Stadt den Amphilochern und Akarnanen übergeben915. Seitdem waren diese, mit Ausnahme von Öniadä, das nach wie vor zu Korinth hielt, getreue Bundesgenossen Athens.

Dagegen ist um dieselbe Zeit das mit so großen Hoffnungen gegründete Thurii definitiv für Athen verlorengegangen; die realen Verhältnisse erwiesen sich auch hier stärker als die idealsten Absichten. Mehr und mehr hatte Athen in der Kolonie allen Boden verloren (vgl. o. S. 677.); im Jahre 434/3 erfolgte die offene Absage. Die Ehre, die Stadt gegründet zu haben, wird Athen aberkannt und auf Geheiß des Athen feindlichen Gottes von Delphi dieser offiziell für ihren Gründer erklärt. Ohne Zweifel haben damals die letzten Anhänger Athens die Stadt verlassen müssen, während flüchtige Gegner aus seinem Reich offene Aufnahme fanden. Die Verfassung wird aristokratisch und bald extrem oligarchisch gestaltet916. Damals war Athens Aufmerksamkeit bereits aufs ernstlichste durch die Händel zwischen Korinth und Korkyra in Anspruch genommen, deren Gefahren Perikles sofort erkannt hatte; um so weniger konnte er daran denken, Maßregeln zur Wiedergewinnung der verlorenen Position zu ergreifen. Diesem Verlust gegenüber will es wenig besagen, daß im nächsten Jahr, nach der Intervention Athens auf Korkyra, die beiden einzigen chalkidischen Städte, die sich im Süden noch unabhängig behaupteten, Rhegion und Leontini, jenes von Lokri und Messana, dies von Syrakus stark bedrängt, Athen um ein Bündnis angingen917. Damit hatte man zwar Positionen in Sizilien und Unteritalien gewonnen – wie man schon seit 20 Jahren mit Segesta verbündet war (o. S. 674) –; aber wenn man sie wirklich behaupten und [731] ausnutzen wollte, lag die Last ausschließlich auf Athen. Vielleicht schon ein paar Jahre vorher hatte Neapel sich um Hilfe an Athen gewandt, vermutlich um eine Stütze gegen die Sabeller zu gewinnen, denen um diese Zeit (438) die Einnahme Capuas gelungen war. Der athenische Stratege Diotimos erschien in Neapel und hat offenbar ein Bündnis abgeschlossen, vielleicht auch Ansiedler hingeführt918. Ein wirklicher Machtzuwachs war dadurch nicht gewonnen, so wichtig es auch für Athens Handel war, die griechischen Positionen in Kampanien gegen die aufstrebende einheimische Bevölkerung zu behaupten.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 729-733.
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