Erfurt

[595] Erfurt, stark befestigte Hauptstadt des gleichnamigen Reg.-Bez. und Kreises in der preuß. Provinz Sachsen, an der Gera, mit 33000 E., worunter über 1/5 Katholiken, mit kathol. und evangel. Gymnasium, einem Schullehrerseminar, Taubstummen-, Blinden- u. Hebammeninstitut, einer königl. Akademie gemeinnütziger Wissenschaften, Handelslehranstalt, vielen gemeinnützigen Vereinen und Anstalten, worunter ein Ursulinerinenkloster mit einer weiblichen Erziehungsanstalt. Der Handel wird durch die Thüringer Eisenbahn gefördert; starke Schuhmacherei, Lein-, Baumwollen-, Wollzeug-, Bandweberei, Fabriken in Leder, Tabak, Nudeln; Bierbrauereien, Essig- und Oelsiedereien. Unter den Gebäuden 20 Kirchen, worunter der im 14. Jahrh. erbaute goth. Dom mit der 275 Ctr. schweren Susannaglocke, die Prediger-, St. Severi- und Barfüßerkirche. Das Augustinerkloster, in welches Luther 1505 eintrat, ist jetzt ein Waisenhaus, Luthers Zelle in ihrem alten Zustande erhalten. Er nannte E. das »Paradies Deutschlands«; wichtig ist die Kunst- u. Handelsgärtnerei, der Gemüse-, Kümmel- und Mohnbau, angenehm der Vergnügungsort Steiger und der Gartenbezirk [595] Dreibrunnen. – E. war schon in heidnischer Zeit eine Stadt, Bonifaz stiftete hier 741 ein Bisthum für das fränkische Nordthüringen, doch verlor es rasch seine Selbstständigkeit u. wurde von Mainz aus verwaltet. Die Stadt gehörte zur Hansa und zählte im 15. Jahrh. gegen 60000 E., kam aber durch Brand und Pest, durch das »tolle Jahr« 1509, die Studententumulte von 1480 und 1510, sowie durch die Reformation herab. Die Kurfürsten von Mainz erlangten Landeshoheit u. 1648 Anerkennung als unumschränkte Herren des Fürstenthums E., d.h. der Stadt und ihres Gebietes. E. fiel 1803 an Preußen, war 1806 bis 13 von Franzosen besetzt, wo die Preußen die Stadt und 1814 die Citadellen, den Petersberg und die Cyriaksburg, durch Capitulation wieder eroberten. Die Universität E., als die 5. unter den deutschen 1392 eröffnet, zählte 1455 noch 538 Studenten, aber 1523 nur 34, 1524 24, 1525 21 und 1526 gar nur 14 Immatriculierte und von 1520–1689 kam nicht Eine Doktorpromotion in der theolog. Fakultät vor. Gustav Adolf vermochte die Universität nicht zu heben, dagegen blühte sie im 18. Jahrh. durch die Kurfürsten von Mainz wieder auf, zählte 179244 Lehrer, ward jedoch 1816 aufgehoben. – Im Frühling 1850 tagte in E. das Parlament für die zur Union zusammengetretenen Staaten.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 595-596.
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