Nationalökonomie

[299] Nationalökonomie, politische Oekonomie, Staatswirthschaftslehre, Volkswirthschaftslehre, ist die Wissenschaft von der Erzeugung, Erhaltung u. Vermehrung des Nationalreichthums, also von dem Verkehre, der Industrie, vom Ackerbau, Geld etc. Sie ist eine auf Erfahrung beruhende Wissenschaft und erst in neuester Zeit in systematische Form gebracht worden. Zuerst machte sich das Mercantilsystem geltend, welches in dem baaren Gelde allein den Nationalreichthum erblickte, deßwegen die Ausfuhr desselben zu hindern suchte, dagegen die Industrie und den Handel mit Ausschluß fremder Concurrenz möglichst begünstigte (Colbert). Ihm stellte sich das physiokratische System entgegen (zuerst durch den Franzosen Quesnay), nach welchem Grund u. Boden als die Quelle alles Wohlstandes betrachtet u. die Production aus dem Pflanzen- und Thierreiche die Hauptaufgabe wird. Beiden stellte der Schotte Adam Smith sein Industriesystem entgegen; nach ihm sind die ungehinderte Thätigkeit des Einzelnen u. die Sicherheit des Eigenthums die Grundbedingungen des nationalen Reichthums, aus welchen er die Grundsätze der Besteuerung und die Freiheit des Verkehrs ableitet. Die unbedingte Freigebung des Verkehrs an die Concurrenz anderer Völker hat übrigens noch kein einziges Volk praktisch durchgeführt und gerade die Engländer, welche die meisten Erfahrungen besitzen, haben nur auf denjenigen Gebieten die Concurrenz frei gegeben. wo sie unbedingt Meister sind und begünstigen die Einfuhr von Nahrungsmitteln etc. nur deßwegen mit Zollfreiheit u. Zollerleichterung, damit ihre Industriellen wohlfeiler leben und eben darum wohlfeiler arbeiten können. Die Literatur der N. ist in der neuesten Zeit rasch angewachsen; Italien, Frankreich, England und Deutschland haben bedeutende Schriftsteller aufzuweisen, letzteres namentlich List, Bülow-Cummerow u. Roscher.

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Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 299.
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