Staatspapiere

[299] Staatspapiere (Staatsobligationen, Staatseffecten, engl. stocks), Schuldscheine, welche der Staat über seine Gelddarlehen ausstellt, also kein Papiergeld. Sie lauten entweder auf den Namen des Gläubigers (als wirkliche Obligationen od. eingetragen ins Großbuch als Inscriptionen, frz. rentes nominatives, engl. bank receipt) u. können dann nur durch förmliche Cession auf Andere übergehen, od. auf den Inhaber (au porteur, Certifikate), wo der Besitz das Eigenthum beweist. Die Staatsanleihen sind entweder Zwangsanleihen, nach den Steuerkräften od. auf einzelne Corporationen verlegt, od. freiwillige, sei es nur für kurze Zeit ohne materielle Sicherung (schwebende Schuld, frz. dette flottante, engl. floating debt) od., wie meist, auf lange Dauer mit Verschreibung von Staatsgütern (fundirte Schuld). Die Staatsanleihen sind a) einfach verzinsliche: kündbar od. auf Termine od. unkündbar, so daß der Gläubiger stetsfort nur Zinse, aber das Kapital [299] nicht mehr erhält (Renten, ewige Renten, frz. rentes perpétuelles engl. perpetual annuities, Consols); od. b) Anleihen mit einer Rente, welche Zins u. allmälige Tilgung des Kapitals umfaßt, wie die Zeitrenten auf bestimmte Jahre, Leibrenten auf Lebenszeit (frz. rentes viagères engl. annuities for life) u. Tontinen oder Gesellschaftsrenten; od. c) Lotterieanleihen, wobei zur Rückzahlung eine Reihe Nummern (Serien) gezogen u. diese selbst dann wieder zur Vertheilung der Gewinnste unter sich verlooset werden (Loose, Serien-, Partialloose, Partialobligationen, Partiale, Prämienscheine). Die Zinsen der S. werden meist halbjährlich bezahlt, gegen Quittung, zu welchem Zwecke den S.n schon bei der Ausgabe sog. Zinsbogen beigefügt werden, von denen dann im einzelnen Zinsfall die im Voraus mit Datum u. Zinssumme genau gedruckte Quittung abgeschnitten (Coupons, Zinsleisten) und gegen Einsendung (Legitimation) das Zinsgeld bezogen wird. Der Staat reducirt bisweilen den Zinsfuß (wenn viel Geld vorhanden d.h. leicht zu haben ist), wobei dem Gläubiger die Kündigung des Kapitals eingeräumt werden muß, oft erhöht er ihn (wenn das Geld rar, theuer ist), um kündbare Kapitalien nicht zu verlieren. Bisweilen aber, in Zeiten der Noth, reducirt der Staat den Zinsfuß oder die Schuld eigenmächtig, stellt auch die Zinszahlung ganz ein, mit od. ohne Kapitalisation der Zinsen (Staatsbankerott). Die Tilgung der S. schulden erfolgt mittelst Heimzahlung des vollen Nennwerthes (remboursement) oder mittelst Rückkauf nach dem Börsencurse (rachat). Der Handel mit S.n geht nach den allgemeinen Regeln des Papierhandels. Der Werth od. Curs der S. (Curs-, Börsenzettel) richtet sich nach dem Staatskredit u. nach den Verhältnissen des Geldmarktes. Der Käufer speculirt in Zeiten der niedersten, der Verkäufer bei höchster Werthung. Der Börsenhandel nimmt die verschiedensten Formen an (Tageskauf, Zeitkauf, Prämien-, Stell-, Wandel-, Nach-, Prolongations-, Heuer-, Assecuranzgeschäft), nicht selten den Charakter der Wette od. des Spiels (Differenzgeschäft, Windhandel, Stockjobberey, agiotage, jeu de la bourse).

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 299-300.
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