Tristan

[522] Tristan, der Held einer ursprünglich bretonischen Erzählung des Mittelalters, worin nach bretonischer Manier Abenteuer auf Abenteuer geistlos aufgethürmt wurde; sie fand Bearbeiter in Frankreich, in Deutschland während des 12. Jahrh. einen solchen an Eilhard von Oberg, dessen Arbeit 1481 in die Form eines Prosaromans umgegossen gedruckt erschien u. ein vielgelesenes Buch wurde. Gedanken und Gefühle brachte aber Gottfried von Straßburg (s. d.) in den T., der daraus ein Heldengedicht schuf, wie ein ächter Dichtergenius und Meister der Form, dabei aber auch ein Anhänger der Emancipation des Fleisches nur immer eines zu schaffen vermochte. Um über den sittlichen Gehalt von Gottfrieds T. u. Isolt zu urtheilen, genügt die kürzeste Inhaltsangabe der Erzählung: Der Königssohn T. wird von Räubern entführt, begegnet auf der Jagd dem ihm blutsverwandten König Marke von Kurnewale u. England u. findet bei diesem die gastlichste Aufnahme. König Morolt von Irland fordert Tribut von Marke, T. erschlägt den übermüthigen Morolt, wird dabei schwer verwundet und, als Sänger verkleidet, von Isolden, Morolts schöner Tochter, gepflegt und geheilt. Um den Frieden zwischen Irland u. England für die Zukunft festzustellen, will Marke die Isolde heirathen; er entsendet den T. als Brautwerber, u. nachdem dieser einen Drachen erlegt, wird Isolde wirklich Markes Braut u. Gattin. Aber schon auf der Fahrt von Irland zu Marke haben T. u. Isolde einen von der Mutter der letztern heimlich zubereiteten Liebestrank getrunken; sie erliegen der Glut sinnlicher Leidenschaft, setzen nach der Vermählung der Isolde mit Marke ihr sträfliches Verhältniß fort und sinnen nur darauf, den Gatten und Oheim recht hinter das Licht zu führen. Dies gelingt den Beiden so vortrefflich, daß der betrogene Marke sie mit einander in den Wald und ein Leben in üppiger Wollust führen läßt. Wieder zurückgerufen, zieht der gesättigte T. in die weite Welt und verliebt sich baldigst in eine andere Isolt, Tochter des Herzogs von Arundel. – In unserer Zeit haben sich manche mit Ausgaben des T., Kurtz und Simrock mit Uebersetzungen in das heutige Deutsch beschäftigt, K. L. Immermanns freie Nachdichtung begann vielversprechend, gedieh jedoch nicht zum Ende.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 522.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: