Offenbarung

[406] Offenbarung (lat. revelatio, inspiratio) heißt die Gott oder Gottgesandten zugeschriebene Enthüllung religiöser Wahrheiten und seines eigenen Wesens. Gott offenbart sich, wie der Glaube annimmt, teils äußerlich, teils Innerlich, und zwar jedem Menschen nach Maßgabe seiner Empfänglichkeit. Die äußere (objektive) Offenbarung geschieht in der Natur und in der Geschichte. Der religiöse Mensch sucht Gottes Walten in den Naturgesetzen und Naturvorgängen, sowie in Ereignissen des Lebens einzelner und ganzer Völker; Familienerlebnisse, Rettung aus Gefahr, Not, Krankheit und Tod, wie die Knotenpunkte in der Staaten- und Kulturgeschichte, werden als Taten Gottes angesehen. Die innere (subjektive) Offenbarung wird dagegen in der Vernunft und in dem moralischen Gefühl gesucht und befaßt jeden theoretischen[406] und praktischen Fortschritt der Menschheit auf dem Gebiete der Erfindungen und Entdeckungen, der Erkenntnis, der Darstellung der Kunst und der Sittlichkeit. Der Glaube betrachtet die ganze Geschichte der Menschheit als die Erziehung derselben durch Gott, als eine Herausgestaltung seines Reiches. Die Religionen stützen sich noch auf eine dritte Art der Offenbarung, nämlich die durch Auserwählte oder Gottgesandte. Insbesondere nimmt die christliche Lehre die Offenbarung des Wesens Gottes durch Moses, die Propheten und vor allem durch Christus an. Fichte (1762-1814) sah eine äußere Offenbarung für den Fall als notwendig an, daß die Menschheit moralisch so verkommen sei, daß sie die Stimme des Sittengesetzes nicht mehr höre. (Versuch einer Kritik aller Offenbarung. Königsberg 1792.) Kant leugnete die Notwendigkeit einer Offenbarung gänzlich. Vgl. Humanität, Geschichte.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 406-407.
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