Die Mutter und ihr Kind.

[149] Weinend hat die Braut das Aelternhaus verlassen, um dem künftigen Gatten vor Gott die Hand zum ehelichen Bunde zu reichen, nachdem sie noch knieend von Vater und Mutter den Segen, der das Haus baut, empfangen, – ernst und schweigend in sich gekehrt, tritt sie geschmückt hinaus über die bekannte Schwelle, um eine neue Heimat zu gewinnen und darf nicht zurückschauen zur Stätte, wo sie als zarte Pflanze geblüht, wo sie unter dem wärmenden Sonnenstrahl mütterlicher Liebe und Sorgfalt erwachsen, – gedrückt unter der Last wehmütiger Erinnerung an die frohen Tage der Kindheit, an Aeltern, Brüder und Schwestern, denen sie nun nicht mehr angehören soll wie früher, mit denen sie nicht mehr Dach und Fach, nicht mehr alle stillen Freuden und heimlichen Leiden theilt – und voll bangen Vorgefühls der schweren Pflichten, die ihrer nun harren, da sie vom gehorchenden Kinde zur gebietenden Frau wird, und des rauhen Kreuzweges, den[149] sie nun zu gehen hat, wie alle Anderen ihres Geschlechtes – füllen Thränen ihr Auge, der Wehmuth, der Sorge, und nichts tröstet sie als der Gedanke, daß der Herr, der Alles lenkt und für Alles milde sorgt, auch ihrer nicht vergißt, daß ein geliebter Mann der Stab seyn wird, an dem sie sich hält, wenn des Tages Bürde allzuschwer auf ihre Schulter drückt.

Und hat der Priester am Altare ihrer beyder Hände zusammengegeben, und gehören sich beyde nun an im untrennbaren Bunde, so ist die Braut zwar zur jungen Hausfrau geworden und hat Sitz und Stimme in des Gatten Hause als ihrem Eigen, und herrscht und waltet unbehindert in ihrem Gebiete – aber noch hat sie nicht die Weihe, welche sie vollberechtigt im Rathe der Nachbarinen macht, noch ist sie ihnen nicht ebenbürtig, denn es fehlt ihr der Adel, welchen der Name »Mutter« verleiht. – Und wem gilt ihr Schaffen in der Wirthschaft, ihre Sparsamkeit und ihre glückliche Hand, wenn der Erbe des eigenen Blutes fehlt? – Wo ist das Dritte, welches Theil hat am Gatten, wie an ihr, worin sich Beyde mit gleichem Rechte wieder begegnen, alle Sorgen und Schmerzen ihre Ausgleichung finden?

Dieses Dritte – das zweyte Ich der beyden Gatten in Einem – ist das Kind – und nur wenn die junge Frau auch Mutter geworden und zu ihren Frauenpflichten die süßen Mutterpflichten gesellen kann, ist das Weib auf seiner höchsten Stufe angekommen.

Und wie den Menschen in seinem Erdenleben Leid und Freud abwechselnd geleitet, die Freude gar häufig[150] nach Leid, und nur um wieder neuer Plage, neuem Kummer den Platz zu räumen, so weiß die junge Frau, welcher die Hoffnung der Mutterschaft aufgegangen ist, daß auch in diesem Stande Böses und Gutes sich mischt, daß das Böse auch hier sich eindringt, und wohl um so gewisser und um so zudringlicher, als ein neues Leben in die Welt treten soll, welches, noch nicht geboren, schon den Nachstellungen des Feindes der Menschheit ausgesetzt ist, noch mehr aber in den ersten Tagen, in denen es das Licht der Sonne mit dem Dunkel des Schoßes der Mutter vertauscht hat.

Es ist rührend zu sehen, mit welcher ängstlichen Sorgfalt im Volke für Mutter und Kind gesorgt wird, wie alles überliefert wird, was je schaden könnte, wie alle Mittel bereit stehen, um die übeln Einflüsse auf das Kind im Mutterleib und auf das Kind an der Mutterbrust abzuwenden, die schädlichen Eindrücke abzuwehren oder zu beseitigen.

Es gehört nicht wenig dazu, für die Mutter, die davon hört, nicht zaghaft, nicht mit Angst und Beben des Augenblickes gewärtig zu seyn, wo sie und ihr Kind das Ziel der Angriffe des Bösen und der ihm verfallenen Menschen werden soll. Doch stärkt sie der Glaube, wie ihre Kirche die Mittel besitze, sie zu behüten und das Kind zu bewahren; es erhebt sie das Bewußtseyn, daß eine höhere Weihe ihr wird und ein höherer Schutz ihr in Aussicht steht – und sollte sie auch in dem Augenblicke, wo sie einem neuen Wesen das Leben gibt, aus der Welt treten müssen, so beruhiget[151] sie der Gedanke, daß sie ihrer Pflicht zum Opfer gefallen und der Herr, vor dem sie zu erscheinen hat, mit gnadenvollem Blicke sie ansehen werde.

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 1, Augsburg 1857/58/59, S. 149-152.
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