Clairauts Satz

[468] Clairauts Satz über die geodätischen (kürzesten) Linien auf Rotationsflächen. Die charakteristische Eigenschaft der geodätischen Linien auf krummen Flächen ist die, daß ihre Hauptnormale in die Flächennormale fällt und mithin die Schmiegungsebene durch die Flächennormale hindurchgeht. Für die Rotationsflächen, deren Normale in die Ebene des Meridians fällt, ergibt sich hieraus die folgende von Clairaut in den Mémoires de l'Académie des sciences 1733 zuerst publizierte Beziehung zwischen dem Radius r des Parallelkreises eines Punktes einer kürzesten Linie einer solchen Fläche und dem Azimut i (Winkel der Tangente der geodätischen Linie mit der Tangente des Meridians):

Für jede geodätische Linie einer Rotationsfläche ist das Produkt aus dem Radius r des Parallelkreises und dem Sinus des Azimutes i eine Konstante α, d.h. r sin i = α (s. die Figur).

Unter einer geodätischen Linie versteht man eine solche auf der Fläche verlaufende Kurve, deren Schmiegungsebene in jedem Punkt die Flächennormale enthält, also senkrecht auf der Tangentialebene steht. Es seien P und P1 zwei benachbarte Punkte der Rotationsfläche, P S[468] und P1 S ihre Meridiane, P N und P1 N1 ihre Normalen, endlich P Q und P1 Q1 die Radien der Parallelkreise. Legt man durch P1 P und N1. eine Ebene, so kann dieselbe als Schmiegungsebene für den Punkt P1 aufgefaßt werden und ihr Schnitt mit der Fläche bestimmt das dem Element P P1 auf der geodätischen Linie benachbarte Element P1 P2. Im Dreikant, das aus den beiden Meridianebenen und der Schmiegungsebene gebildet wird, gilt der Sinussatz:

sin i : sin i1 = sin S N1 P1 : sin S N1 P.

Nun in: sin S N1 P1 = r1 : N1 P1 und sin S N1 P = r : N1 P, ferner ist bis auf Größen zweiter Ordnung N1 P = N1 P1, da der Winkel N1 P1 P ein rechter ist. Hieraus folgt: sin i : sin i1 = r1 : r oder: r sin i = r1 sin i1. Es ändert sich demnach das Produkt r sin i beim Uebergang von einem Punkt P zum Punkt P1 nicht (genauer nur um Größen zweiter Ordnung) und ist daher konstant.

Die geodätische Linie kann auch als Form eines über die glatte Fläche gespannten Fadens oder als Bahn eines auf der glatten Fläche unter dem Einflusse der Trägheit mit Ausschluß äußerer Kräfte sich bewegenden Punktes aufgefaßt werden. Im letzteren Falle ist der Clairautsche Satz eine Folge des Flächenprinzipes: r2 = r12 1, wobei und 1 die Winkel bedeuten, um die sich r bezw. r1 in gleicher Zeit dreht. Nun ist r dφ = ds sin i; r1 1 = ds1 sin i1, also r sin i ds = r1 sin i1 ds1 Für die Bewegung mit Ausschluß von Kräften muß aber gleichförmige Geschwindigkeit herrschen, also in gleichen Zeiten ds = ds1 sein, womit der Satz bewiesen ist.


Literatur: Schell, Theorie der Bewegungen und der Kräfte, Bd. 1, S. 415, 437, und Bd. 2, S. 92.

Finsterwalder.

Clairauts Satz
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2 Stuttgart, Leipzig 1905., S. 468-469.
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