Kohlenbahnhöfe

[549] Kohlenbahnhöfe, besondere Anlagen zur Bewältigung großen Kohlenverkehrs, kommen vor zur Versorgung großer Städte und Industrieplätze mit auf der Bahn beigeführter Kohle sowie zum Umschlagsverkehr zwischen Bahn und Schiff, namentlich zur Beladung der Fluß- und Seeschiffe mit binnenländischer Kohle. Die Anlagen der ersten Art können als Stadtkohlenbahnhöfe, die der zweiten als Hafenkohlenbahnhöfe bezeichnet werden.

Stadtkohlenbahnhöfe sind in England, unter anderm in London, an vielen Stellen und in bedeutendem Umfang ausgeführt. Eine solche Anlage besteht aus einer Reihe von gleichlangen, je für drei bis sechs Wagen in der Länge bemessenen, parallelen Gleisstücken zwischen zwei Schiebebühnen, von denen die eine zum Beiführen der vollen Wagen auf die Parallelgleise die andre zum Abführen der leeren Wagen dient. Parallelgleise und Schiebebühnen liegen, etwa 5 m höher als eine Zufahrstraße entlang der einen Schiebebühne über Lagerräumen, die durch Scheidemauern zwischen den einzelnen Parallelgleisen abgeteilt und mit Holz- oder Eisenbalken oder auch teilweise mit Gewölben überdeckt werden. In jedem Parallelgleis sind zwei bis drei Schütttrichter, durch welche die Kohlen beim Oeffnen der Boden- oder Seitenklappen der Wagen in die Lagerräume hinabfallen. An den Schütttrichtern sind unten manchmal Schüttrinnen mit Siebvorrichtungen angebracht, durch welche die Kohlen sortiert und sofort den auf Wägevorrichtungen stehenden Säcken aus Leder oder geteerter Leinwand, wie solche in London zur Beförderung der Kohlen in die Wohnungen üblich sind, zugeführt werden. Die ganze Anlage ist oftmals mit einem frei stehenden Dach überdeckt. Die Lagerräume werden an Kohlenhändler oder -fahrer verpachtet (Zentralblatt d. Bauverw. 1899). – Eine ähnliche Anlage in beschränkterem Umfange, jedoch mit quer zu den Gleisen stehenden Pfeilern, wurde im Norden Berlins am Wedding Ende der siebziger Jahre erbaut; sie hat nicht besonders viel Zuspruch und keinerlei Nachahmung gefunden. Dagegen sind in westdeutschen Städten und in Wien (am Nord- und Südbahnhof) einfache Kohlenrutschen angelegt, bei denen die Kohlen vom Eisenbahngleise seitwärts auf einer etwa mit 1 : 1 abfallenden, gutbefestigten Böschung zu den um 11/2–31/2 m tiefer liegenden Lagerplätzen hinabrutschen, die durch Wände und Stützmauern gegen den noch etwa 1 m tiefer liegenden Abfuhrplatz abgegrenzt sind.

Im allgemeinen geschieht in Deutschland und den meisten andern Ländern der Kohlenverkehr zwischen Bahn und Straßenfuhrwerk ohne besondere Vorrichtungen in gleicher Weise wie bei anderm Rohgut auf offenen Ladestraßen an Freiladegleisen. Die Kohlenbahnhofe sind daher in der Regel nicht von den allgemeinen Rohgutbahnhöfen geschieden. Wohl aber haben Hüttenwerke und Fabriken mit großem Kohlenverbrauch ihre besonderen Vorrichtungen zum bequemen Abladen und Weiterfördern der Kohlen. Dieses erfolgt meist durch schmalspringe Kippwagen, in Nordamerika auch wohl nach Huntschem System durch umlaufende Doppelketten mit pendelnd dazwischen aufgehängten Gefäßen, also nach ähnlichem Grundgedanken wie die Becherbandförderung des Getreides in Silospeichern (s. Glasers Annalen 1895 L).

Auf Hafenkohlenbahnhöfen handelt es sich hauptsächlich um rasche und bequeme Entladung der Kohlenwagen und deren geschickte Zu- und Abfuhr, wobei oft auf die verschiedene Höhe des Wasserstandes sowie auf Verhinderung allzu heftigen Sturzes der Kohlen Rücksicht zu nehmen ist. Die weitestgehende, aber auch sehr mannigfaltige Ausbildung haben solche Anlagen in den Seehäfen Englands gefunden, wo zugleich bedeutende Wasserstandsunterschiede zu beachten sind. Die bedeutendste derartige Anlage in Deutschland ist der Kohlenhafen in Ruhrort, wo die westfälische Kohle in die Rheinschiffe verladen wird.

Hinsichtlich der Verladung kommen folgende Ausführungsarten in Betracht: 1. Das Verladen geschieht mit Hilfe besonderer Gefäße (Kästen oder Zylinder), die, an Kranen hängend, von den Bahnwagen aus gefüllt und dann über dem Schiffe entleert werden. Dies Verfahren ist indessen mehr für das Ueberladen der Kohle von den kleineren Fluß- in die größeren Seeschiffe üblich. 2. Das Verladen geschieht unmittelbar von den Bahnwagen aus in das Schiff. Hierbei kann der Wagen durch einen am Ufer stehenden Kran über das Schiff geschwenkt und dort gekippt werden (Fig. 1); oder es kann der Inhalt der Wagen mittels Ausschaufelns durch Seiten- oder Bodenklappen auf eine – je nach dem Wasserstande verstellbare – Schüttrinne geworfen werden und in dieser zum Schiff hinunterrutschen (Fig. 24). Endlich kann der Wagen auf einem besonderen Gerüst am Ufer so gekippt werden, daß er nach Oeffnung einer Seitenwand die Kohlen auf eine Schüttrinne fallen läßt, die sie zum Schiffe führt und am bellen mit der kippenden Plattform unmittelbar verbunden ist (Fig. 5). Diese dritte Einrichtung ist die leistungsfähigste und in sehr verschiedenartiger Weise ausgeführt, unter anderm mit sehr gutem Erfolge in der Art selbsttätig, daß der auf die Kippvorrichtung geschobene beladene Wagen durch das Gewicht der Ladung nach Oeffnung eines Steuerungsventils die Schrägstellung einnimmt[549] und nach Schließen des Ventils beibehält. Nach Entleerung wird das Ventil wieder geöffnet, worauf der leere Wagen wieder in die frühere wagerechte Lage zurückgeht. – Bei großen Höhenunterschieden wird die ganze Kippvorrichtung nebst Wagen – z.B. mittels eines hydraulischen Hebewerks – gehoben und gesenkt, so in Cardiff. Das Heran- und Zurückführen der Wagen zu den Sturzgerüsten geschieht in der Regel durch kurze Quergleise, die mittels Drehscheiben mit den dem Ufer parallelen Längsgleisen verbunden sind, manchmal jedoch auch auf Gleisen, welche ohne Drehscheiben in geeigneter Weise unmittelbar auf die Sturzgerüste führen. In dieser Hinsicht finden sich in englischen Seehäfen mannigfache und höchst zweckmäßige Gleisanordnungen, z B. so, daß die Wagen lediglich durch das eigne Gewicht auf geneigten Gleisen zu den Kippvorrichtungen hin- und ebenso auf entgegengesetzter Neigung von da wieder zurückgelangen (Fig. 67). Bisweilen werden, um den Rückkehrpunkt in gleiche Höhe mit dem Ausgangspunkt zu bringen, die Wagen nach der Entleerung durch eine (meist hydraulische) Hebevorrichtung so hoch gehoben, daß sie die nötige Fallhöhe für das Rückfahrgleis gewinnen (Fig. 8), oder es werden die gesammelten leeren Wagen durch Seilbetrieb wieder hochgezogen (Fig. 6 a, Gleis 5). Stets werden die Zu- und Rückfahrgleise bis unmittelbar vor dem Sturzgerüst völlig getrennt. Kurz vor diesem oder sonst an passender Stelle werden Wägevorrichtungen für die beladenen Kohlenwagen, am besten mit selbsttätiger Gewichtsangabe, eingeschaltet.


Literatur: Roll, Encyklopädie des Eisenbahnwesens, Bd. 5, Wien 1893, Artikel »Kohlenbahnhöfe« und »Kohlenladevorrichtungen«; Schwabe, Englisches Eisenbahnwesen, Wien 1877; Heusinger, Spez. Eisenbahntechnik, Bd. 4, Leipzig 1876; Zeitschr. f. Bauwesen 1866, 1878, 1880, 1886, 1887; Zeitschr. des Arch.- u. Ingen.-Ver. zu Hannover 1887; Railroad Gazette 1892, Nr. 20, 1895, S. 344, 1903, S. 536; Zentralblatt der Bauverwaltung 1896, 1899, 1902 und 1904; Organ[550] für Fortschr. d. Eisenbahnwesens 1895, S. 171, 1904, S. 42; Eisenbahntechnik der Gegenwart, Bd. 2, III. Abschnitt, Bahnhofsanlagen, Kohlenladevorrichtungen; Handbuch der Ingenieurwissenschaften 1907, Teil V, Bd. 4, Anordnung der Bahnhöfe. S.a. Haufenlager.

Kübler.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 5.
Fig. 5.
Fig. 4., Fig. 6.
Fig. 4., Fig. 6.
Fig. 6a.
Fig. 6a.
Fig. 7., Fig. 8.
Fig. 7., Fig. 8.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 549-551.
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