Nutation

[681] Nutation, das Schwanken der Erdachse, eine in der Periode von etwa 18,6 Jahren verlaufende periodische Richtungsveränderung der Drehungsachse der Erde mit beträchtlicher Amplitude (nicht zu verwechseln also mit der kleinen, seit einigen Jahren erkannten Sogenannten Erdachsenschwankung, vgl. den Art. Polhöhe, bei der es lieh nur um kleine Verlagerungen der Drehungsachse der Erde im Erdkörper handelt); von Bradley 1747 entdeckt [1] (oder nachgewiesen, früher von Newton theoretisch vermutet, von Machin wesentlich richtig gedeutet und von d'Alembert eingehend erklärt [2]).

Die Nutation wird bewirkt durch die Anziehung des Mondes und der Sonne auf die sphäroidische Erde. Sie umfaßt daher sowohl eine Periode von ca. 29,5 Tagen (synodischen Mondumlauf) als eine solche von nahe 18,6 Jahren (Umlaufszeit der Knotenlinie der Mondbahn), Ohne die Nutation der Erdachse würde der Himmelspol (Schnittpunkt jener Achse mit der gedachten Sphäre) in einem Kreis um den Ekliptikpol als sphärischem Mittelpunkt vom Radius der Ekliptikschiefe von etwa 231/2° infolge der sogenannten Präzession (s.d.) der Nachtgleichen ziemlich gleichmäßig jährlich um etwa 50'' fortrücken. Die Nutation bewirkt, daß der Pol von dieser seiner »mittleren« Lage, die er infolge der Präzession allein hätte, bald nach außen, bald nach innen abweicht. Die halbe große Achse der kleinen Ellipse, welche der Pol des Aequators um seinen in mittlerer, nahezu gleichförmiger Bewegung fortschreitenden Weg. (Präzessionsbewegung) beschreibt, beträgt 9,21 Bogensekunden, die halbe kleine Achse etwa 7'' [3]. Die mathematischen Ausdrücke für den Einfluß, welchen die Nutation auf die Koordinaten der Gestirne ausübt, sind ziemlich verwickelter Natur, man entwickelt sie gewöhnlich in Form von Reihen, die nach den Längen der Sonne (⊙), des Mondes (Nutation) und des aufsteigenden Mondknotens ♌ und deren Vielfachen fortschreiten. – Ueber weiteres betreffend den Einfluß der Nutation auf die Oerter der Gestirne vgl. [4] oder die Lehrbücher der sphärischen Astronomie [5]–[7] oder der Geographie [8] und Geophysik [9]. Daß auch eine (sehr kleine, aber doch merkliche) tägliche Nutation der Erdachse (von etwa 1/3'') vorhanden sei, ist von Folie mehrfach zu beweisen versucht, von andern als noch nicht erwiesen betrachtet worden.


Literatur: [1] Bradley, On the apparent motion of the fixed stars, Phil. Transact. 1747/48. – [2] D'Alembert, Recherches sur la précession des équinoxes et sur la nutation de Taxe de la terre, Paris 1749; deutsch von Seuffert, Nürnberg 1857, S. 53. – [3] Peters, Numerus Constans Nutationis, St. Petersburg 1842; große Achse der Nutationsellipse etwa 18'',5, kleine 13'',7, aber nicht ganz konstant. – [4] Wolf, Handbuch der Astronomie, Bd. 1 (2), Zürich 1891, erste Erwähnung S. 442, 586; im Sinn der Himmelsmechanik in Bd. 2 (2), Zürich 1893, S. 397 ff. – [5] Brünnow, Sphärische Astronomie, 4. Aufl., Berlin 1881, S. 131–137; Berechnung der Nutationskonstanten, S. 235 ff. – [6] Herr-Tinter, Sphärische Astronomie, Wien 1887, S. 160–166. – [7] Chauvenet, Spherical and Practical Astronomy, 5. Aufl., Philadelphia 1893, Bd. 1, S. 624–628 – [8] Günther, Mathematische Geographie, Stuttgart 1890, S. 746–748 (mit Literatur). – [9] Ders. Handb. d. Geophysik, 2. Aufl., Stuttgart 1897, Bd. 1, S. 268 ff. (tägliche Nutation S. 270 f.).

Ambronn.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 6 Stuttgart, Leipzig 1908., S. 681-682.
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