Nutation

[847] Nutation (lat.), das von Bradley 1747 entdeckte »Schwanken« der Erdachse um eine mittlere Lage, gleich der Präzession (s. d.) eine Folge der Anziehung von Sonne und Mond auf die abgeplattete Erde. Vermöge der Präzession beschreibt der mittlere Pol des Äquators in ungefähr 26,000 Jahren um den Pol der Ekliptik einen Kreis, dessen Halbmesser gleich der Schiefe der Ekliptik ist (oder eigentlich eine Linie von veränderlichem Halbmesser, da die Schiefe der Ekliptik nicht ganz konstant ist). Die N. besteht nun darin, daß der wahre Pol des Äquators um den mittlern in Zeit von 18,7 Jahren, der Periode der Bewegung der Mondknoten, eine Ellipse beschreibt, deren Halbachsen 9,21 und 6,90 Bogensekunden betragen. Den Wert der großen Halbachse bezeichnet man als Nutationskonstante. – In der Pflanzenphysiologie heißt N. jede durch ungleiches Längenwachstum verschiedener Seiten eines wachsenden Org aus veranlaßte Krümmung desselben. Man unterscheidet einmalige N. von den rhythmischen, die längere Zeit andauern. Bei den Seitenorganen mit bilateraler Symmetrie, wie z. B. bei den Laubblättern innerhalb einer Knospe, wächst gewöhnlich die Außen- oder Rückseite stärker als die Innenseite, was als Hyponastie bezeichnet wird; das betreffende Organ muß sich daher nach der Mutterachse hin krümmen. Wächst dagegen die Innenseite stärker als die Außenseite (Epinastie), so stellt sich das wachsende Organ gerade oder krümmt sich sogar auf der Rückseite konkav. Sehr auffallend sind ferner die Nutationen bei den sich entfaltenden Teilblättchen der Roßkastanie sowie den anfangs eingerollten Blättern der Farne und den Keimstengeln der Dikotylen, die mit scharf überhängendem Gipfel über die Erde treten. Bei den rhythmisch fortdauernden Nutationen, die häufig bei schnellwüchsigen Blütenstengeln und Laubsprossen von Schlingpflanzen auftreten, wird der überhängende Sproßgipfel entweder abwechselnd nach entgegengesetzten Seiten geführt (pendelartige N.), oder seine Spitze beschreibt eine Schraubenlinie (Zirkumnutation, rotierende oder revolutive Bewegung), wobei die Zone des stärksten Wachstums kontinuierlich die Längsachse des wachsenden Organs umläuft. Diese Bewegungen sind für die Schlingpflanzen zur Auffindung einer Stütze von biologischer Bedeutung.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 847.
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