Eröffnung des Hauptverfahrens

[71] Eröffnung des Hauptverfahrens (Verweisungsbeschluß, Verweisungserkenntnis, Versetzung in den Anklagestand), der Gerichtsbeschluß, daß in einer Strafsache die mündliche Hauptverhandlung stattfinden soll. Nur bei Übertretungen und geringfügigen Vergehen kann in dem Verfahren vor den Schöffengerichten ohne schriftliche Anklage und ohne eine richterliche Entscheidung über die E. nach der deutschen Strafprozeßordnung zur Hauptverhandlung geschritten werden. Voraussetzung der E. ist die Fertigung einer Anklageschrift (s. Klage), gleichviel ob eine gerichtliche Voruntersuchung stattgefunden hat oder nicht. Die Anklageschrift soll den Angeschuldigten zugleich in den Stand setzen, sich auf seine Verteidigung gehörig vorzubereiten. Der Beschluß des Gerichts über die E. kann sodann folgenden Inhalt haben: 1) Das Gericht kann zunächst noch einzelne Beweiserhebungen oder die Eröffnung einer Voruntersuchung oder die Vervollständigung einer solchen anordnen. 2) Das Gericht beschließt, daß das Verfahren vorläufig einzustellen sei (s. Einstellung). 3) Der Gerichtsbeschluß geht dahin, daß das Hauptverfahren nicht zu eröffnen sei, aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen. In diesem Falle ist ein etwa erlassener Haftbefehl aufzuheben, auch ist der Angeschuldigte, wenn eine Voruntersuchung stattgefunden hat, »außer Verfolgung zu setzen«. 4) Es wird auf E. erkannt. Dies geschieht dann, wenn der Angeschuldigte einer strafbaren Handlung »hinreichend verdächtig« ist. Der Beschluß muß ebendiese Handlung unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale, das anzuwendende Strafgesetz und das Gericht bezeichnen, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll. Dieser Beschluß kann von dem Angeschuldigten nicht angefochten werden, während die Staatsanwaltschaft den ablehnenden Beschluß (3) vermittelst sofortiger Beschwerde anfechten kann. Nach der österreichischen Strafprozeßordnung findet eine gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Anklage nur auf Verlangen des Angeschuldigten statt. Das Gericht, das diese Entscheidung fällt, ist verschieden von demjenigen, das die Hauptverhandlung abhält. Nach englischem Recht entscheidet über die E. in Schwurgerichtssachen die Anklagejury (s.d.), in Frankreich die Anklagekammer des Appellhofs (Chambre des misesen accusation). Vgl. Deutsche Strafprozeßordnung, § 196ff., 451, 456, 462, und die Lehrbücher des Strafprozeßrechts.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 71.
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