Ertragsteuern

[79] Ertragsteuern sind direkte Steuern, welche die einzelnen Ertragsquellen nach Maßgabe ihres wirklichen oder schätzungsweise angenommenen Erträgnisses belasten. Ein rationelles Ertragssteuersystem muß alle Arten des Ertrags, also sowohl den Ertrag der Grundstücke und Gebäude als den der Gewerbe, des Kapitals und der Arbeit, erfassen. Am konsequentesten ist das Ertragssteuersystem in Bayern, Mecklenburg, jetzt auch in Elsaß-Lothringen ausgebildet. Bayern hat die Grundsteuer, Haussteuer, Gewerbesteuer, Kapitalrentensteuer und sogen. Einkommensteuer, welch letztere das durch keine der andern Steuern betroffene Einkommen, insbes. das aus körperlicher und geistiger Arbeit fließende, umfaßt. In andern Staaten, die in der Hauptsache das Ertragssteuersystem haben, fehlen einzelne wichtige Glieder, so in Frankreich. Die Vorzüge der E. bestehen im folgenden. Die E. gestatten die Erfassung des steuerpflichtigen Objekts, ohne daß es nötig ist, in die persönlichen Verhältnisse des Steuerzahlers einzudringen. Die Ertragsquelle liegt bei den meisten derselben offen zutage, eine Hinterziehung ist dann ausgeschlossen. Einmal veranlagt, erfordern die E., sofern keine stetigen Revisionen und Neuabschätzungen nötig sind, mäßige Erhebungskosten. Der Ertrag ist sicher und gleichbleibend und bildet damit eine wichtige Unterlage einer geordneten Finanzverwaltung. Ferner erleichtern die wichtigern E. die Besteuerung des nach außen fließenden Einkommens, was bei der heutigen Lebhaftigkeit des Verkehrs, zumal für Gemeinden, von hoher Bedeutung ist. Ihr Nachteil besteht darin, daß besteuerter Ertrag und Einkommen des Steuerpflichtigen einander nicht decken. Die E. nehmen in der Regel keine Rücksicht auf persönliche Tüchtigkeit und individuelle Möglichkeit vorteilhafterer Ausbeutung der Ertragsquelle noch auf etwaige Verschuldung. Diejenigen unter ihnen, deren erste Veranlagung zeitraubend und kostspielig ist, können nicht rasch geändert werden, wenn im Laufe der Zeit die äußern Grundlagen, auf denen ihre Bemessung beruht, sich umgestalten. So wird die Steuerlast, auch wenn sie anfänglich eine annähernd gleiche für alle war, mit der Zeit eine ungleichmäßige. Aus diesem Grunde würde eine Erhöhung des Steuerfußes, weil die Ungleichheiten vermehrend, drückend empfunden werden. Daher sind die E. wenig geeignet, einem wachsenden Finanzbedarf durch steigende Einträglichkeit zu genügen. Diese Übelstände haben den Wunsch nahegelegt, die E. derart umzugestalten, daß sie sich mehr dem wirklichen Einkommen anschließen, das der Besitzer aus der Ertragsquelle zieht, wie dies z. B. in Bayern bei der jüngsten Steuerrevision vom 9. Juni 1899, bezüglich der Gewerbe-, Kapitalrenten- und sogen. Einkommensteuer geschehen ist, bez. das Ertragssteuersystem durch andre Steuern zu ersetzen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 79.
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