Hanswurst

[797] Hanswurst, ein ehemals stehender grotesk-komischer Charakter der deutschen Bühne, der volkstümliche Narr, der noch heute auf Volkstheatern, in Marionettenspielen und bei Seiltänzern sein Wesen treibt. Das Wort kommt zuerst in der 1519 erschienenen niederdeutschen Bearbeitung von Brants »Narrenschiff« vor und wird dann von Luther in seiner gegen den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel gerichteten Schrift »Wider Hanns Worst« (Wittenb. 1541) gebraucht. Als Bauernname erscheint »Heinz Wurst« in Probsts Fastnachtsspiel »Vom kranken Bauer und seinem Knecht Simon Hampel« (1553). Gei Hans Sachs ist »Wurst-Hans« fingierter Name von Fressern. Für den Narren im Schauspiel kommt der Name H. zuerst in einem Stück von 1573 vor; allgemeine Verwendung findet er dann in den sogen. Haupt- und Staatsaktionen gegen Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrh. als parodierender Narr, und nun fanden sich auch Schauspieler, die diesen Charakter mimisch auszubilden bemüht waren. So stellte Jos. Ant. Stranitzky in Wien zu Anfang des 18. Jahrh. den H. in der Tracht und mit dem Charakter eines einfältig-possierlichen Salzburger Bauern dar. Sein würdiger Nachfolger war Gottfr. Prehauser aus Wien, der 1720 zuerst die Pritsche nahm. Von Wien aus wurde von wandernden Schauspielern, wie Franz Schuch u. a., der H. auch in Norddeutschland eingeführt. Gottsched und die Neuberin verbanden mit ihren Bemühungen um Einführung des »regelmäßigen« Dramas einen erbitterten Kampf gegen den H. und überhaupt die stehende Figur des Narren im Drama, die ihnen als ein Haupthindernis ihrer Reformbestrebungen erschien. Seine Vertreibung von der Bühne wurde von der Neuberin zu wiederholten Malen in allegorischen Vorspielen dargestellt; die Nachricht, daß der H. oder Harlekin 1837 von Gottsched und der Neuberin feierlich begraben oder verbrannt worden sei, ist nicht hinlänglich beglaubigt. In Wien hat Sonnenfels in seinen »Briefen über die Wienerische Schaubühne« (1768) den Kampf gegen den H., wiewohl ohne durchschlagenden Erfolg, geführt; die stereotypen possierlichen Figuren in den Wiener Possen können den alten Ahnherrn nicht verleugnen. Als Verteidiger des Hanswurstes traten besonders Lessing und J. Möser auf, ersterer namentlich im 18. Stück der »Hamburgischen Dramaturgie«, letzterer in seiner Schrift »Harlekin, oder Verteidigung des Grotesk-Komischen« (1761). Vgl. Creizenach, Zur Entstehungsgeschichte des neuern deutschen Lustspiels (Halle 1879); Görner, Der Hanswurststreit in Wien (Wien 1884).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 797.
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