Ismaëliten

[56] Ismaëliten, 1) die Nachkommen Ismaels (s. d.). – 2) Mohammedan. Sektierer seit den ersten Zeiten der Abbasidenherrschaft, ursprünglich Zweig der Schiiten (s. d.), mit allerlei mystisch-pantheistischen und kommunistischen Vorstellungen. Sie traten in Syrien und Persien auf und verfochten ursprünglich die Rechte der Nachkommen Alis, nach dessen Urenkel im sechsten Gliede, Ismaïl ibn Dscha'far as-Ssâdik, sie sich nannten. Der Koran spielte bei ihnen nur die Rolle der äußern Form, seinen Inhalt bestimmte ihre eigne allegorische Interpretation, daher sie auch Bâtiniten (etwa »Leute des innern«, nämlich Sinnes) genannt wurden. Sie bekannten sich zu einer extremen Form der Inkarnationslehre, nach der Gott in Ali und seinen Nachkommen bis Ismaïl, den Imâmen (Religionshäuptern), sich verkörpert hatte: Ismaïl sei von der Erde verschwunden, lebe aber als verborgener Imâm weiter und werde als Mahdi (»Rechtgeleiteter«), d. h. Wiederhersteller des wahren Gottesreiches, zurückkehren. Während für diese Lehre überall in ungemein geschickter Weise geworben wurde, entarteten die I. immer mehr zu einer Revolutionspartei, deren Führer den Fanatismus der irregeleiteten Menge für persönliche Zwecke ausnutzten. So die Karmaten (s. d.), die Fatimiden (s. d.) und Assassinen (s. d.). Jetzt sind nur wenige harmlose Reste der I. in Syrien und Indien übrig. – I. nannte man ferner im südöstlichen Europa, namentlich in Polen und Ungarn, finnisch-ugrische und türkische Mohammedaner, die von der untern Wolga und vom Nordrande des Kaspischen Meeres her in den Ostländern Europas Handel trieben und sich später dort ansiedelten. In Ungarn waren I. aus »Großbulgarien« etc. bis zum 14. Jahrh. als die eigentlichen Repräsentanten des Handels anzutreffen, wurden aber alsdann teils gewaltsam bekehrt, teils vertrieben und ausgerottet.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 56.
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