Knotenknüpfen

[193] Knotenknüpfen. Wie noch heute der Knoten im Taschentuch als Gedächtnishilfe, so dient bei fast allen Naturvölkern der in bestimmter Weise geschürzte Knoten als Zählungs- und Abrechnungsmittel sowie als Vertreter der Schrift, und bei den alten Peruanern war die Knotenschrift zu einem vollständigen Verständigungsmittel und Dokumentenwesen ausgebildet, sofern durch verschieden geschürzte Knoten in verschieden gefärbten, aber miteinander verbundenen Fäden (s. Quipu) die kompliziertesten Verträge und ganze historische Dokumente niedergelegt wurden. Die Indianer Nordamerikas ersetzten diese Knotenstränge durch Knotengürtel mit dazwischen aufgereihten Perlen und Muscheln (s. Wampumgürtel), deren kunstgerechte Verfertigung bestimmten Personen oblag. Daran knüpft sich wohl die Auffassung, daß ein geschürzter Knoten ein unauflöslicher Kontrakt, ein Heiligtum und ein Rätsel zugleich sei, weshalb auf den Inseln der Südsee das Tabu (s. d.) oft durch[193] in verschiedene Materiale geschürzte Knoten verkündet wird, und auch der »Strohwisch an der Stange«, der bei uns das Betreten eines Ortes verbietet, scheint aus ähnlichen Zeichen entsprungen. Noch bei Kulturvölkern wurde das K. als Symbol eines abgeschlossenen Vertrags angesehen, und jeder Zeuge (nodator) hatte einen Knoten in einen an dem betreffenden Dokument befestigten Riemen zu knüpfen. Durch die bindende Kraft, die man in das K. legte, gewann es früh die Bedeutung einer magischen Handlung, und der Knoten wurde zum Zauberknoten. Durch Bezugnahme auf eine bestimmte Person und unter gewissen Zeremonien in bunte Schnüre und Bänder geknüpfte Knoten glaubte man jene Person in bestimmter Beziehung unauflöslich zu fesseln. Außerdem glaubte man dadurch Akte, bei denen eine Eröffnung des Körpers in Betracht kommt, also Empfängnis und Geburt, unmöglich zu machen. So sollte Juno durch knotenartiges Verschränken der Finger und Arme die Geburt des Herkules sieben Tage hingehalten haben; daher heißen die Zauberknoten bei den Alten auch herkulische Knoten, und die Daktylen galten als deren Knüpfer und Löser. Hierher gehört auch das ehemals sehr gefürchtete Nestelknüpfen (s. d.) und der noch in vielen Gegenden übliche Brauch, in einem Hochzeits- oder Geburtshaus alle Knoten zu lösen. Die Schamanen der Lappen und Finnen sowie andre nordische Völker gaben vor, in dieser Weise den Wind fesseln und entfesseln zu können und verkauften den Seefahrern solche eingeknoteten Winde, wie ähnliches auch in der »Odyssee« vorkommt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 193-194.
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