Morphologie

[157] Morphologie (griech., Gestaltlehre), die Wissenschaft von den in der Gestalt der Lebewesen und in ihrer Entwickelung zum Ausdruck kommenden Gesetzmäßigkeiten. Die Gestalt eines Körpers oder eines Organs ist abhängig von den während und nach ihrer Entwickelung einwirkenden äußern Ursachen und von ihrer durch Vererbung von dem Vorfahren her überkommenen spezifischen Konstitution, die sie auf äußere Reize vom Beginn der Entwickelung an in bestimmter Weise reagieren läßt. Wie die Funktion eines Organs von seiner Form abhängig ist, so wirkt umgekehrt auch der Gebrauch auf seine Gestalt ein. Inwieweit durch Gebrauch oder Nichtgebrauch eines Organs Gestalt und Leistungsfähigkeit desselben erblich beeinflußt werden können, ist zurzeit noch Gegenstand der wissenschaftlichen Erörterung (s. Anpassung, Darwinismus). Die wissenschaftliche M. umfaßt zwei Hauptgebiete: die Erkundung der gesetzmäßigen Aufeinanderfolge von Gestaltungs- und Entwickelungsvorgängen ist Aufgabe der Entwickelungsgeschichte; ein besonderer Zweig derselben ist die Entwickelungsmechanik, welche die strengere chemischphysikalische Analyse einzelner Entwickelungsvorgänge anstrebt; die vergleichende Anatomie hat es dagegen mit der vergleichenden Betrachtung der entwickelten Lebewesen zu tun. Diese läßt erkennen, wie sich Organe von gleicher Herkunft und Entwickelung (homologe Organe) verschiedenen Verrichtungen anpassen und dementsprechend verschiedene Formen annehmen (Differenzierung), während anderseits Organe von ungleicher Herkunft unter dem Einfluß ähnlicher Lebensbedingungen gleiche Funktionen übernehmen (analoge Organe) und dabei auch in ihrer Form sich ähnlich werden (Konvergenz). Vgl. Haeckel, Generelle M. der Organismen (Berl. 1866, 2 Bde.; daraus im Neudruck: Prinzipien der generellen M., 1906) und Systematische Phylogenie (das. 1894 bis 1896, 3 Tle.); His, Unsre Körperform (Leipz. 1874); Goebel, Grundzüge der Systematik und speziellen Pflanzenmorphologie (das. 1882), Vergleichende Entwickelungsgeschichte der Pflanzenorgane (Berl. 1892) und Organographie der Pflanzen (Jena 1898 bis 1901, 2 Tle.); Pax, Allgemeine M. der Pflanzen (Stuttg. 1890); Wiedersheim, Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere (5. Aufl., Jena 1902); Gegenbaur, Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere mit Berücksichtigung der Wirbellosen (Leipz. 1898–1901, 2 Bde.); Lang, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wirbellosen Tiere (2. Aufl., Jena 1900 ff.); O. Hertwig, Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte des Menschen und der Wirbeltiere (7. Aufl., das. 1902) und Handbuch der vergleichenden und experimentellen Entwickelungslehre der Wirbeltiere (das. 1901–04, 3 Bde.); Gegenbaurs »Morphologisches Jahrbuch« (Leipz., seit 1875); »Archiv für Entwickelungsmechanik der Organismen« (hrsg. von Roux, das., seit 1891)

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 157.
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