Opportunitätsprinzip

[85] Opportunitätsprinzip, im modernen Strafprozeß derjenige Grundsatz, wonach die Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft nicht schlechthin die Folge einer strafbaren Tätigkeit sein, sondern das Einschreiten der Staatsanwaltschaft wesentlich davon abhängig gemacht werden soll, ob dasselbe im öffentlichen Interesse als geboten erscheint. Die Anhänger dieses Prinzips, wonach der Staatsanwalt die Verfolgung einer verbrecherischen Handlungsweise auch unterlassen könnte, wenn ihm dies durch das öffentliche Interesse als geboten erscheinen würde, wollen zur etwaigen Korrektur des sogen. Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft ein möglichst weitgehendes Recht der Privatklage dem Verletzten einräumen, wie dies im französischen Rechte der Fall ist. Die deutsche Strafprozeßordnung geht nicht von dem O., sondern vielmehr von dem Grundsatz aus, daß die Staatsanwaltschaft bei einer strafbaren Handlung zum Einschreiten verpflichtet ist (sogen. Legalitätsprinzip, s. d.). Nur ausnahmsweise kommt das O. zur Geltung, namentlich bei Beleidigungen und leichten Körperverletzungen, bei denen die Staatsanwaltschaft mit der öffentlichen Klage nur dann einschreitet, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt (Deutsche Strafprozeßordnung, § 416). Auch bei den im Ausland begangenen strafbaren Handlungen ist es dem Ermessen der Staatsanwaltschaft anheimgestellt, ob sie in den gesetzlich überhaupt strafbaren Fällen einschreiten, oder ob sie dies, namentlich mit Rücksicht auf einen unverhältnismäßig hohen Kostenaufwand, nicht lieber unterlassen will (Deutsches Strafgesetzbuch, § 4). In Österreich gilt das strenge Legalitätsprinzip (§ 34 der Strafprozeßordnung).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 85.
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